Wald (Literatur): Unterschied zwischen den Versionen

Aus ZUM-Unterrichten
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 31: Zeile 31:
   
   
'''IM SPESSART'''
'''IM SPESSART'''
<poem>
Gegrüßt sei du, viellieber Wald!
Es rührt mit wilder Lust,
Wenn abends fern das Alphorn schallt,
Erinnrung mir die Brust.


:Gegrüßt sei du, viellieber Wald!
Jahrtausende standst du schon,
:es rührt mit wilder Lust,
O Wald, so dunkel kühn,
:Wenn abends fern das Alphorn schallt,
Sprachst allen Menschenkünsten Hohn
:Erinnrung mir die Brust.
Und webtest fort dein Grün.


:Jahrtausende standst du schon,
Wie mächtig dieser Äste Bug
:O Wald, so dunkel kühn,
Und das Gebüsch wie dicht,
:Sprachst allen Menschenkünsten Hohn
Was golden spielend kaum durchschlug
:Und webtest fort dein Grün.
Der Sonne funkelnd Licht.


:Wie mächtig dieser Äste Bug
Nach oben strecken sie den Lauf,
:Und das Gebüsch wie dicht,
Die Stämme grad und stark;
:Was golden spielend kaum durchschlug
Es strebt zur blauen Luft hinauf
:Der Sonne funkelnd Licht.
Der Erde Trieb und Mark.


:Nach oben strecken sie den Lauf,
Durch des Gebildes Adern quillt
:Die Stämme grad und stark;
Geheimes Lebensblut,
:Es strebt zur blauen Luft hinauf
Der Blätterschmuck der Krone schwillt
:Der Erde Trieb und Mark.
In grüner Frühlingsglut.


:Durch des Gebildes Adern quillt
Natur, hier fühl ich deine Hand
:Geheimes Lebensblut,
Und atme deinen Hauch,
:Der Blätterschmuck der Krone schwillt
Beklemmend dringt und doch bekannt
:In grüner Frühlingsglut.
Dein Herz in meines auch.


:Natur, hier fühl ich deine Hand
Dann denk ich wie vor alter Zeit,
:Und atme deinen Hauch,
Du dunkle Waldesnacht!
:Beklemmend dringt und doch bekannt
Der Freiheit Sohn sich dein gefreut
:Dein Herz in meines auch.
Und was er hier gedacht.


:Dann denk ich wie vor alter Zeit,
Du warst der Alten Haus und Burg;
:Du dunkle Waldesnacht!
Zu diesem grünen Zelt
:Der Freiheit Sohn sich dein gefreut
Drang keines Feindes Ruf hindurch,
:Und was er hier gedacht.
Frei war noch da die Welt.


:Du warst der Alten Haus und Burg;
(1806)</poem>
:Zu diesem grünen Zelt
:Drang keines Feindes Ruf hindurch,
:Frei war noch da die Welt.
 
::(1806)


===J.F.v.Eichendorff (1788-1857)===
===J.F.v.Eichendorff (1788-1857)===

Version vom 11. März 2018, 21:19 Uhr

Wald-Ansichten in der deutschen Literatur: Klassisch - romantisch - nationalistisch

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Die Eichbäume: Hier noch nicht der enge deutsche Wald, sondern das Zusammenstehen souveräner Individuen außerhalb der von liebebedürftigen Menschen bewohnten Kulturlandschaft ("Gärten")

DIE EICHBÄUME

Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt` und erzog, und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen.

(1796/8)

Friedrich Schlegel (1772-1829)

Der deutsche Wald der Nationalromantik: Ort der Erinnerung und dunkler Ahnungen urdeutscher Kraft und Freiheit

IM SPESSART

Gegrüßt sei du, viellieber Wald!
Es rührt mit wilder Lust,
Wenn abends fern das Alphorn schallt,
Erinnrung mir die Brust.

Jahrtausende standst du schon,
O Wald, so dunkel kühn,
Sprachst allen Menschenkünsten Hohn
Und webtest fort dein Grün.

Wie mächtig dieser Äste Bug
Und das Gebüsch wie dicht,
Was golden spielend kaum durchschlug
Der Sonne funkelnd Licht.

Nach oben strecken sie den Lauf,
Die Stämme grad und stark;
Es strebt zur blauen Luft hinauf
Der Erde Trieb und Mark.

Durch des Gebildes Adern quillt
Geheimes Lebensblut,
Der Blätterschmuck der Krone schwillt
In grüner Frühlingsglut.

Natur, hier fühl ich deine Hand
Und atme deinen Hauch,
Beklemmend dringt und doch bekannt
Dein Herz in meines auch.

Dann denk ich wie vor alter Zeit,
Du dunkle Waldesnacht!
Der Freiheit Sohn sich dein gefreut
Und was er hier gedacht.

Du warst der Alten Haus und Burg;
Zu diesem grünen Zelt
Drang keines Feindes Ruf hindurch,
Frei war noch da die Welt.

(1806)

J.F.v.Eichendorff (1788-1857)

Der Wald der Eichendorff-Romantik, geheimnisvoller Ort wohlig-grausigen Schauderns

Im Walde

Es zog eine Hochzeit den Berg entlang,
ich hörte die Vögel schlagen,
da blitzten viel Reiter, das Waldhorn klang,
das war ein lustiges Jagen!
Und eh ichs gedacht, war alles verhallt,
die Nacht bedecket die Runde,
nur von den Bergen noch rauschet der Wald
und mich schauert im Herzensgrunde.
(1836)

Oder: Der Wald, Heimat und Gegenwelt zur Geschäftigkeit der "Draußen"-Welt

Abschied

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt`ger Aufenthalt.
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft`ge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt.
(...)

Ludwig Ganghofer (1855-1920)

Der Wald als Metapher für mannhafte Stärke
"Wie still dieser Wald! Wie schön in seinem Schweigen!"
Zwischen den Wurzeln einer mächtigen Fichte ließ sich der Einsame zur Ruhe nieder. So saß er, den Kopf an den Stamm gelehnt, die Hände um das Knie geschlungen. Lächelnd, als wäre die Ruhe und das Nimmerdenken über ihn gekommen, staunte er träumend hinein in die wundersame Stille. Kein Halm zu seinen Füßen und kein Zweig zu seinen Häupten bewegte sich. Auch nicht der leiseste Lufthauch atmete durch den Wald. Stark und ruhig stiegen die hundertjährigen Bäume zum Himmel auf, jeder ein König in seiner sturmerprobten Kraft. Alle kleinen, niederen Gewächse waren verkümmert und gestorben im Schatten dieser Großen; sie allein bestanden, und bescheidenes Moos nur webte zwischen ihren weitgespannten Wurzeln seinen grünen Samt über Grund und Steine. Sogar vom eigenen Leibe hatten die Riesen alle niedrigstehenden Äste abgestoßen und gesundes, saftiges Leben nur den strebenden Zweigen bewahrt, die sich aufwärts streckten bis zur Höhe des Lichtes. Das flutete goldleuchtend um die Wipfel her, ließ selten einen verlorenen Schimmer niedergleiten in den Schatten, der zwischen den braunen Stämmen lag, und dort nur, wo der Grund zu steigen anfing, brach es, einer Lichtung folgend, mit breiter brennender Welle quer durch den Wald.
"Wer das so könnte wie der Wald: alles Schwächliche und Niedrige von sich abstoßen, nur bestehen lassen, was stark ist und gesund! So stolz und aufrecht hinaussteigen über den Schatten der Tiefe und die Helle suchen, die hohen, reinen Lüfte! Wer das so könnte!"
Das Schweigen im Walde (1899), 1. Kapitel

Hermann Hesse (1877-1962)

Der Wald, Ort sehnsuchtsvoller Erinnerung an die Kindheit

SCHWARZWALD

Seltsam schöne Hügelfluchten,
Dunkle Berge, helle Matten,
Rote Felsen, braune Schluchten,
Überflort von Tannenschatten!

Wenn darüber eines Turmes
Frommes Läuten mit dem Rauschen
Sich vermischt des Tannensturmes,
Kann ich lange Stunden lauschen.

Dann ergreift wie eine Sage,
Nächtlich am Kamin gelesen,
Das Gedächtnis mich der Tage
Da ich hier zu Haus gewesen.

Da die Fernen edler, weicher,
Da die tannenforstbekränzten
Berge seliger und reicher
Mir im Knabenauge glänzten.

Elias Canetti (1905-94)

Der Wald, gedeutet und entzaubert als "Massensymbol": Verkörperung deutscher Sekundärtugenden

Das Massensymbol
„Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich ein mit Bäumen.
Ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen, unterscheidet diesen Wald von dem tropischen, wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen. Im tropischen Wald verliert sich das Auge in der Nähe, es ist eine chaotische, ungegliederte Masse, auf eine bunteste Weise belebt, die jedes Gefühl von Regel und gleichmäßiger Wiederholung ausschließt. Der Wald der gemäßigten Zone hat seinen anschaulichen Rhythmus. Das Auge verliert sich, an sichtbaren Stämmen entlang, in eine immer gleiche Ferne. Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. [...]
Der Knabe, den es aus der Enge zu Hause in den Wald hinaustrieb, um, wie er glaubte, zu träumen und allein zu sein, erlebte dort die Aufnahme ins Heer voraus. Im Wald standen schon die anderen bereit, die treu und wahr und aufrecht waren, wie er sein wollte, einer wie der andere, weil jeder gerade wächst, und doch ganz verschieden an Höhe und Stärke. Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen, in hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf, und der Wald, der in ihnen vorkam, hieß oft deutsch.“
Aus dem Kapitel: Massensymbole der Nationen, in Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer 1980 (1960) S. 190f

Siehe auch