Wald (Literatur)

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Wald-Ansichten

Denkanstoß
Forest on San Juan Island.jpg
„Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich ein mit Bäumen.
Cloud forest Ecuador
Ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen, unterscheidet diesen Wald von dem tropischen, wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen. Im tropischen Wald verliert sich das Auge in der Nähe, es ist eine chaotische, ungegliederte Masse, auf eine bunteste Weise belebt, die jedes Gefühl von Regel und gleichmäßiger Wiederholung ausschließt. Der Wald der gemäßigten Zone hat seinen anschaulichen Rhythmus. Das Auge verliert sich, an sichtbaren Stämmen entlang, in eine immer gleiche Ferne. Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. [...]
Der Knabe, den es aus der Enge zu Hause in den Wald hinaustrieb, um, wie er glaubte, zu träumen und allein zu sein, erlebte dort die Aufnahme ins Heer voraus. Im Wald standen schon die anderen bereit, die treu und wahr und aufrecht waren, wie er sein wollte, einer wie der andere, weil jeder gerade wächst, und doch ganz verschieden an Höhe und Stärke. Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen, in hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf, und der Wald, der in ihnen vorkam, hieß oft deutsch.“
Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer 1980 (1960) S. 190f

Klassisch - romantisch - nationalistisch

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Die Eichbäume: Noch nicht der enge deutsche Wald der Romantik, sondern das Zusammenstehen souveräner Individuen außerhalb der von liebebedürftigen Menschen bewohnten Kulturlandschaft.

DIE EICHBÄUME

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Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt` und erzog, und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen.

(1796/8)


Interpretationsauftrag
  1. Überlege zuerst, was Dir zum Begriff "Eiche" einfällt.
  2. Lies das Gedicht langsam durch und vergleiche es mit Deinen Vorüberlegungen.
  3. Gliedere das Gedicht jetzt in Sinn-Einheiten.
  4. Markiere die Stellen, in denen die Lebenswelt der Menschen und die Existenzform der Eichen dargestellt werden. Benutze dazu zwei Farben.
  5. Entwickle daraus, den Aussage-Gehalt dieses Gedichtes.

Mehr dazu hier

Friedrich Schlegel (1772-1829)

Der deutsche Wald der Nationalromantik: Ort der Erinnerung und dunkler Ahnungen urdeutscher Kraft und Freiheit


Im Spesshart, 1806


Gegrüßt sei du, viellieber Wald!
Es rührt mit wilder Lust,
Wenn abends fern das Alphorn schallt,
Erinnrung mir die Brust.

Jahrtausende standst du schon,
O Wald, so dunkel kühn,
Sprachst allen Menschenkünsten Hohn
Und webtest fort dein Grün.

Wie mächtig dieser Äste Bug
Und das Gebüsch wie dicht,
Was golden spielend kaum durchschlug
Der Sonne funkelnd Licht.

Nach oben strecken sie den Lauf,
Die Stämme grad und stark;
Es strebt zur blauen Luft hinauf
Der Erde Trieb und Mark.


Durch des Gebildes Adern quillt
Geheimes Lebensblut,
Der Blätterschmuck der Krone schwillt
In grüner Frühlingsglut.

Natur, hier fühl ich deine Hand
Und atme deinen Hauch,
Beklemmend dringt und doch bekannt
Dein Herz in meines auch.

Dann denk ich wie vor alter Zeit,
Du dunkle Waldesnacht!
Der Freiheit Sohn sich dein gefreut
Und was er hier gedacht.

Du warst der Alten Haus und Burg;
Zu diesem grünen Zelt
Drang keines Feindes Ruf hindurch,
Frei war noch da die Welt.

Quelle: Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 363-364. Zitiert nach Zeno.org

J.F.v.Eichendorff (1788-1857)

Der Wald der Eichendorff-Romantik:

Ein geheimnisvoller Ort wohlig-grausigen Schauderns

Im Walde

Es zog eine Hochzeit den Berg entlang,
ich hörte die Vögel schlagen,
da blitzten viel Reiter, das Waldhorn klang,
das war ein lustiges Jagen!

Und eh ichs gedacht, war alles verhallt,
die Nacht bedecket die Runde,
nur von den Bergen noch rauschet der Wald
und mich schauert im Herzensgrunde.
  (1836)

Mehr dazu bei K. Dautel

Oder: Eine Heimat und Gegenwelt zur Geschäftigkeit der Welt „da draußen".

Abschied

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt`ger Aufenthalt.
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft`ge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt.

Zitiert nach Projekt Gutenberg

Ludwig Ganghofer (1855-1920)

Der Wald als Metapher für mannhafte Stärke
"Wie still dieser Wald! Wie schön in seinem Schweigen!"
Zwischen den Wurzeln einer mächtigen Fichte ließ sich der Einsame zur Ruhe nieder. So saß er, den Kopf an den Stamm gelehnt, die Hände um das Knie geschlungen. Lächelnd, als wäre die Ruhe und das Nimmerdenken über ihn gekommen, staunte er träumend hinein in die wundersame Stille. Kein Halm zu seinen Füßen und kein Zweig zu seinen Häupten bewegte sich. Auch nicht der leiseste Lufthauch atmete durch den Wald. Stark und ruhig stiegen die hundertjährigen Bäume zum Himmel auf, jeder ein König in seiner sturmerprobten Kraft. Alle kleinen, niederen Gewächse waren verkümmert und gestorben im Schatten dieser Großen; sie allein bestanden, und bescheidenes Moos nur webte zwischen ihren weitgespannten Wurzeln seinen grünen Samt über Grund und Steine. Sogar vom eigenen Leibe hatten die Riesen alle niedrigstehenden Äste abgestoßen und gesundes, saftiges Leben nur den strebenden Zweigen bewahrt, die sich aufwärts streckten bis zur Höhe des Lichtes. Das flutete goldleuchtend um die Wipfel her, ließ selten einen verlorenen Schimmer niedergleiten in den Schatten, der zwischen den braunen Stämmen lag, und dort nur, wo der Grund zu steigen anfing, brach es, einer Lichtung folgend, mit breiter brennender Welle quer durch den Wald.
"Wer das so könnte wie der Wald: alles Schwächliche und Niedrige von sich abstoßen, nur bestehen lassen, was stark ist und gesund! So stolz und aufrecht hinaussteigen über den Schatten der Tiefe und die Helle suchen, die hohen, reinen Lüfte! Wer das so könnte!"
Das Schweigen im Walde (1899), 1. Kapitel

Hermann Hesse (1877-1962)

Der Wald, Ort sehnsuchtsvoller Erinnerung an die Kindheit

SCHWARZWALD


Seltsam schöne Hügelfluchten,
Dunkle Berge, helle Matten,
Rote Felsen, braune Schluchten,
Überflort von Tannenschatten!

Wenn darüber eines Turmes
Frommes Läuten mit dem Rauschen
Sich vermischt des Tannensturmes,
Kann ich lange Stunden lauschen.



Dann ergreift wie eine Sage,
Nächtlich am Kamin gelesen,
Das Gedächtnis mich der Tage
Da ich hier zu Haus gewesen.

Da die Fernen edler, weicher,
Da die tannenforstbekränzten
Berge seliger und reicher
Mir im Knabenauge glänzten.

Zitiert nach Wikisource.org

Reiner Kunze: Der Hochwald

Ein Wald-Gedicht, das in mehrfacher Hinsicht anders ist - und von einem DDR-Autor stammt (siehe unten).

Reiner Kunze

Der hochwald erzieht seine bäume


Der hochwald erzieht seine bäume
Sie des lichtes entwöhnend, zwingt er sie
all ihr grün in die kronen zu schicken
Die fähigkeit,
mit allen zweigen zu atmen
das talent,
äste zu haben nur so aus freude,
verkümmern

Den regen siebt er, vorbeugend
der leidenschaft des durstes

Er läßt die bäume größer werden
wipfel an wipfel:
Keiner sieht mehr als der andere,
dem wind sagen alle das gleiche

holz

  • Aus Reiner Kunzes Gedichtsammlung „Brief mit blauem Siegel“ (DDR-Reclam 1973), ein in der DDR sehr erfolgreicher Lyrik-Band - der jedoch in den Buchläden nur als „Bückware“ zu erhalten war, d.h. das Buch war zwar im Angebot, aber nicht augenfällig platziert, sondern irgendwo ganz unten im Regal. Das Gedicht datiert Kunze auf 1962
  • Mehr zum Gedicht, der Gedichtsammlung und den Kontexten: www.planetlyrik.de
  • Zum Begriff "Hochwald" siehe den Wikipedia-Artikel: Hochwald (Waldbau)

Siehe auch