Reise-Lyrik: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 1. Oktober 2017, 18:31 Uhr
Inhaltsverzeichnis |
Kategorien, Motive und Titel: Eine Sammlung, erweiterbar
Dies ist ein Versuch, das weite Feld Reise-Lyrik thematisch und/oder motivisch zu ordnen.
Vorschläge für weitere Kategorien können gerne in die "Diskussion" (siehe oben links) eingebracht werden. Ebenso Hinweise auf andere Gedichte und nützliches Material im Internet.
Die Zitate geben die ersten Zeilen wieder, sie sollen einen Eindruck von Ton und Thematik vermitteln
- - und auch zu deren Auffindbarkeit (in Buch, Netz oder Gedächtnis) beitragen.
Gedichte von Aufbruch, Unterwegssein und Ankunft
Aufbruchstimmungen
- Ludwig Tieck (1773 - 1853) : Wohlauf! es ruft der Sonnenschein (aus: Franz Sternbalds Wanderungen, 2. Buch 5. Kapitel)
Wohlauf! es ruft der Sonnenschein
Hinaus in Gottes freie Welt!
Geht munter in das Land hinein
und wandelt über Berg und Feld!
- J.v.Eichendorff (1788 - 1857): Sehnsucht
Es schienen so golden die Sterne
am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
- siehe auch: Die zwei Gesellen / Frische Fahrt / Der frohe Wandersmann (aus dem "Taugenichts")
- Wilhelm Müller (1794 - 1824): Das Wandern (Aus "Die schöne Müllerin")
Das Wandern ist des Müllers Lust,
Das Wandern!
Das muß ein schlechter Müller sein,
Dem niemals fiel das Wandern ein,
Das Wandern.
- Ludwig Uhland (1787 - 1862): Abreise (aus "Wanderlieder" 1811)
So hab ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit;
Ich ziehe rüstig meiner Straßen,
Es gibt mir niemand das Geleit.
Unterwegs
- Wilhelm Müller(1794 - 1824): Aus der "Winterreise": Gute Nacht
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus ...
- siehe auch: Der Lindenbaum / Der Leiermann
- Eduard Mörike (1804 - 1875): Auf der Reise
Zwischen süßem Schmerz,
Zwischen dumpfem Wohlbehagen
Sitz ich nächtlich in dem Reisewagen,
Lasse mich so weit von dir, mein Herz,
Weit und immer weiter tragen.
- Heinrich Heine (1797 - 1856): Lebensgruß („Buch der Lieder" Nr. XIX)
Eine große Landstraß ist unsere Erd,
Wir Menschen sind Passagiere;
Man rennet und man jaget, zu Fuß und zu Pferd,
Wie Läufer oder Kuriere.
- B. Brecht (1898 - 1956): Radwechsel
Ich sitze am Straßenhang,
Der Fahrer wechselt das Rad ....
Ankunft - Heimkehr
- J.W.Goethe (1749 - 1832): Glückliche Fahrt
Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
und Äolus löset
das ängstliche Band.
- Friedrich Hölderlin (1770 - 1843): Die Heimat
Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.
- Heinrich Heine (1797 - 1856): Deutschland, ein Wintermärchen (Caput I)
Im traurigen Monat November war's
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
- siehe hierzu H. Heines "Wintermärchen" (K. Dautel)
- Theodor Fontane (1819-1898): John Maynard
"Wer ist John Maynard?"
"John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn."
- Bertolt Brecht (1898 - 1956): Rückkehr
Die Vaterstadt, wie find ich sie doch?
Folgend den Bomberschwärmen
Komm ich nach Haus.
- Hans Bender (1919 - 2015): Heimkehr
Im Rock des Feindes,
in zu großen Schuhen,
im Herbst,
auf blattgefleckten Wegen
gehst du heim.
- Hilde Domin (1909-2006): Rückkehr
Meine Füße wunderten sich
dass neben ihnen Füße gingen
die sich wunderten.
- Jenny Aloni (1917-1993): Nach der Ankunft in Israel
Das ist der Wind nicht mehr, der mich umstrichen,
nicht mehr der Sturm, der mich zu trösten wußte,
das ist nur noch sein Zerrbild, grau verblichen,
der Kern nicht mehr, nur noch die hohle Kruste.
Gedichte von Sehnsuchtsorten
Italien - Venedig
- J.W.Goethe (1749-1832): Mignon (aus „Wilhelms Meisters Lehrjahre“)
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
- Isolde Kurz (1852 - 1944): Italien
Hingestreckt zwischen beiden Meeren
Liegst du und träumst in Mittagsruh’,
Götterliebling!
Und die Wellen singen ihr altes Lied,
Das weltenalte
- C.F. Meyer (1825-1898): Auf dem Canal grande
Auf dem Canal grande betten
Tief sich ein die Abendschatten,
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis
- R.M.Rilke (1875 – 1926): Spätherbst in Venedig
Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder,
der alle aufgetauchten Tage fängt.
Die gläsernen Paläste klingen spröder
an deinen Blick. ...
- Hermann Hesse (1877 – 1962) Ankunft in Venedig
Du lautlos dunkler Kanal,
Verlassene Bucht,
Uralter Häuser graue Flucht,
Gotische Fenster und maurisch verziertes Portal!
- Rose Ausländer (1901-1988): Mein Venedig
Venedig
meine Stadt
Ich fühle sie
von Welle zu Welle
von Brücke zu Brücke
- Günter Kunert: Venedig II
Wald
- Friedrich Schlegel (1772 - 1832): Im Spessart
Gegrüßt sei du, viellieber Wald!
es rührt mit wilder Lust,
Wenn abends fern das Alphorn schallt,
Erinnrung mir die Brust.
- Mörike: Am Waldsaum
Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,
Dem Kukuk horchend, in dem Grase liegen;
er scheint das Tal gemächlich einzuwiegen
Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.
- Hermann Hesse: Schwarzwald
Seltsam schöne Hügelfluchten,
Dunkle Berge, helle Matten,
Rote Felsen, braune Schluchten,
überflort von Tannenschatten!
Andere
- Ralf Thenior: Gran Canaria
Nein ganz herrlich ganz
wunderbar also jeden Tag
Sonne und baden natürlich
auch jeden Tag schon also
fast jeden Tag ...
- siehe zu Reiselyrik im Unterricht K.H. Spinner: Umgang mit Lyrik in S1, Schneider Verlag 2000 S.137ff
Gedichte von Fremde und Heimat
In der Fremde
- Clemens Brentano (1778-1842): In der Fremde
Weit bin ich einhergezogen
Ueber Berg und über Thal
Und der treue Himmelsbogen
Er umgiebt mich überall.
- Wilhelm Müller(1794 - 1824): Aus der "Winterreise": Gute Nacht
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus ...
- Hilde Domin (1909 - 2006): Fremder
Ich falle durch jedes Netz,
wie ein Toter
falle ich durch die Netze hindurch.
Samenkorn ohne Erde
schwerelos
treibt mich der Wind
aus allen Netzen empor.
- Mascha Kaleko: Sehnsucht nach einer kleinen Stadt
Jetzt müßte man in einer Kleinstadt sein
Mit einem alten Marktplatz in der Mitte,
Wo selbst das Echo nächtlich leiser Schrite
Weithin streut jeder hohle Pflasterstein
- Yüksel Pazarkaya (*1940:) gastarbeiter
wahrlich gastfreundlich
sind diese deutschen
sie tauften uns
gastarbeiter
Im Exil
- Heinrich Heine: Nachtgedanken
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
- B.Brecht: Finnische Landschaft (1940)
Fischreiche Wässer! Schönbaumige Wälder!
Birken- und Beerenduft!
Vieltoniger Wind, durchschaukelnd eine Luft
So mild, als stünden jene eisernen Milchbehälter
Die dort vom weißen Gute rollen, offen!
- Rose Ausländer (1901 - 1988): In jenen Jahren
In jenen Jahren
war die Zeit gefroren:
Eis so weit die Seele reichte
Von den Dächern
hingen Dolche
Die Stadt war aus
gefrorenem Glas
Menschen schleppten
Säcke voll Schnee
zu frostigen Scheiterhaufen
- Mascha Kaleko (1907 - 1975): Im Exil
Ich hatte einst ein schönes Vaterland -
So sang schon der Flüchtling Heine.
Das eine stand am Rheine,
Das meine auf märkischem Sand.
Sinn-Fragen
- Matthias Claudius "Urians Reise um die Welt" 1787
Wenn jemand eine Reise tut,
So kann er was verzählen;
Drum nahm ich meinen Stock und Hut
Und tät das Reisen wählen.
[...]
Und fand es überall wie hier,
Fand überall ’n Sparren,
Die Menschen gradeso wie wir,
Und eben solche Narren.
- Gottfried Benn (1886 - 1956): Reisen
Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer zum Inhalt hat?
Zu Fuß, im Zug, im Auto, im Kopf
zu Fuß
- Wilhelm Müller: Das Wandern (siehe oben)
im Zug und im Auto
- A.v. Chamisso (1771 - 1831): Das Dampfroß.
Schnell! schnell, mein Schmied! mit des Rosses Beschlag!
Derweil du zauderst, verstreicht der Tag. –
Wie dampfet dein ungeheures Pferd!
Wo eilst du so hin, mein Ritter wert? –
- Gottfried Benn (1886 - 1956): D-Zug
Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun.
Malaiengelb.
D-Zug Berlin-Trelleborg und die Ostseebäder.
Fleisch, das nackt ging.
Bis in den Mund gebräunt vom Meer.
- Erich Kästner: Im Auto über Land
An besonders schönen Tage
ist der Himmel sozusagen
wie aus blauem Porzellan.
- Nicolas Born (*1937): Im Zug Athen Patras
Kahle Felsschädel, helle Augen,
hell der Mund.
Altger Wortboden, wilder Rhodoendron
auf der Höhe
fruchtbar fruchtbar das Meer
- Licht
- Wolf Wondratschek (*1934): In den Autos
Wir waren ruhig,
hockten in den alten Autos,
drehten am Radio
und suchten die Straße
nach Süden.
- Bodo Morshäuser (*1953): Irritierter Abgang
Die Reise ist zu Ende, die Fotos noch nicht fertig,
ich mache die Augen zu. Mittelstreifen fliegen entgegen.
Die ungewohnten Eindrücke umzingeln uns.
- Hinweis: Diese drei und noch mehr zeitgenössische Gedichte vom Reisen sind enthalten in der Anthologie:
- In diesem Lande leben wir. Deutsche Gedichte der Gegenwart, hrsg. von Hans Bender, München 1978 S. 179 - 214
- Reinhard Mey: Über den Wolken
Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Zeitreisen - Kopfreisen
- Friedrich Hölderlin (1770 - 1843): Der Neckar,
In deinen Tälern wachte mein Herz mir auf
Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,
Und all der holden Hügel, die dich
Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir.
- Friedrich Schiller (1759 - 1805): Der Spaziergang
Sey mir gegrüßt mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel,
Sey mir Sonne gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint,
Dich auch grüß ich belebte Flur, euch säuselnde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Aesten sich wiegt,
- Karoline von Günderode (1780-1806) Der Luftschiffer
Gefahren bin ich in schwankendem Kahne
Auf dem blaulichen Ozeane,
Der die leuchtenden Sterne umfließt,
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.
- Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1924): Reiselied
Wasser stürzt, uns zu verschlingen,
Rollt der Fels, uns zu erschlagen,
Kommen schon auf starken Schwingen
Vögel her, uns fortzutragen.
Lebensreise
- Andreas Gryphius (1616 - 1664): Abend
Der schnelle Tag ist hin, die Nacht schwingt ihre Fahn
Und führt die Sternen auf. Der Menschen müde Scharen
Verlassen Feld und Werk; wo Tier' und Vögel waren,
Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
[...]
Dies Leben kömmt mir vor als eine Rennebahn. ...
- J.v.Eichendorff: Die zwei Gesellen
Es zogenzwei rüst'ge Gesellen
Zum ersten Mal von Haus.
so jubelnd recht in die hellen,
klingenden, singenden Wellen
des vollen Frühlings hinaus.
- Heinrich Heine: Lebensgruß ("Buch der Lieder" Nr. XIX)
Eine große Landstraß ist unsere Erd,
Wir Menschen sind Passagiere;
Man rennet und man jaget, zu Fuß und zu Pferd,
Wie Läufer oder Kuriere.