Lernpfad Akustik/Das Problem des Klavierstimmers

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Version vom 6. Juni 2023, 12:49 Uhr von Felix Riesterer (Diskussion | Beiträge) (→‎Wie stimmt man eine Geige?)
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Wie stimmt man eigentlich ein Klavier? Dazu muss man wissen, wie Streichinstrumente gestimmt werden, da man sich dieses Vorgehen beim Stimmen eines Klavieres zunutze macht.

Wie stimmt man eine Geige?

Schaubild einer Addition zweier Frequenzen mit Schwebung
Oben:Zwei Signalfrequenzen in den Farben Cyan und Magenta. Unten: Die Schwebung, gebildet durch Addition der beiden obigen Verläufe. Die Frequenz der blauen Kurve ergibt sich als Mittelwert der beiden Frequenzen; die Frequenz der einhüllenden Kurve (Rot) ergibt sich als die halbe Differenz der beiden Frequenzen.

Als Grundlage verwendet man traditionell eine Stimmgabel, die auf den Kammerton a' (eingestrichenes a mit 440 Hertz) geeicht ist. Die A-Saite des Instruments kann man so direkt stimmen. Die restlichen Saiten stehen dazu im Abstand einer Quinte. Eine Quinte ist das Frequenzverhältnis von 2:3 (siehe Naturtonreihe). Unser Ohr kann dieses Frequenzverhältnis genügend genau hören. Stimmt der Abstand zwischen den Tönen nicht genau, entsteht eine langsame Summenschwingung, die man Schwebung nennt. So lange eine solche hörbar ist, muss der Musiker die Stimmung korrigieren.

Quintenzirkel

Der Klavierstimmer stimmt mit der Stimmgabel das eingestrichene a. Danach stimmt er alle anderen a-Töne im Oktavabstand schwebungsfrei. Eine Oktave ist das Frequenzverhältnis 1:2, welches unser Ohr sehr genau hören kann. Damit sind alle acht a-Töne des Klaviers gestimmt.

Für die restlichen elf Töne der chromatischen Tonleiter geht der Klavierstimmer in Quinten weiter zum jeweils nächsten Ton, von dem er die Varianten in allen Oktaven ebenso schwebungsfrei stimmt.

Der Quintenzirkel mit reinen Quinten
Der Quintenzirkel mit reinen Quinten

Es stellt sich heraus, dass man am Klavier mit zwölf Quinten genau einmal durch alle Töne der chromatischen Tonleiter kommt. Aber das Ergebnis des Stimmens klingt überraschend anders, als man das vielleicht erwartet hat: Manche Tonarten klingen sehr gut, aber andere klingen dermaßen verstimmt, als hätte der Klavierstimmer einen großen Fehler gemacht. Die Ursache liegt wieder einmal in der Natur und ihren physikalischen Gesetzen. Der Weg über 12 reine Quinten ist nicht der selbe wie über sieben Oktaven. Oder anders ausgedrückt: Der Quintenzirkel ist keineswegs ein geschlossener Kreis, sondern eher eine Spirale.

Pythagoreisches Komma

Man kann den Unterschied zwischen den sieben Oktaven und den zwölf Quinten tatsächlich ausrechnen:

sieben Oktaven

zwölf Quinten

Diesen Unterschied nennt man pythagoreisches Komma. Er verursacht das Problem, dass nicht alle Tonarten musikalisch genutzt werden können, wenn man ein Klavier auf diese Weise stimmt.

Die wohltemperierte Stimmung

Musiker wie Johann Sebastian Bach haben um den Beginn des 18. Jahrhunderts nach einer Lösung für dieses Problem gesucht. Ein Klavier, bei dem alle Tonarten musikalisch nutzbar sind, nannte man wohltemperiert, also in modernerem Deutsch wohlgestimmt. Es sind verschiedene Lösungen erarbeitet worden, aber heute verwenden wir die sogenannte gleichförmige Stimmung, bei der die Quinten eben nicht mehr schwebungsfrei im Verhältnis 2:3, sondern ein kleines bisschen größer gestimmt werden (mit Schwebung!), um den Abstand des pythagoreischen Kommas auf alle zwölf Quinten zu verteilen. Das Ergebnis ist eine Stimmung, bei der alle Tonarten wirklich gleich klingen.