Wanderjahre in Italien/Volkstheater in Italien und Wanderjahre in Italien/Juden in Rom: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Ferdinand Gregorovius]] schildert in [[Wanderjahre in Italien (Gregorovius)|Wanderjahre in Italien]] recht farbig Aufführungen des Volkstheaters in Rom im 19. Jahrhundert.
'''Entwürdigende Behandlung der Juden'''


===Gebäude===
Für diese karnevalischen Spiele auf der Piazza Navona, am Hügel Testaccio und auf dem Corso hatte sich nach und nach die Sitte festgestellt, die Juden zur Volksbelustigung zu mißbrauchen. Nicht allein mußten sie sich der Entehrung unterwerfen, einen Trupp ihrer Ältesten, in Jacken oder Wämser gekleidet, der Kavalkade der Senatoren voranschreiten zu lassen, wenn diese den Corsozug eröffneten, sondern sie selbst mußten zur Schau rennen. Paul II., ein Venezianer, war es, welcher im festlich begangenen Friedensjahr 1468 den Römern zuerst die Corso-Rennschauspiele zum besten gab und auch die Juden öffentlich rennen ließ. Noch heute ist es Festsitte in den Städten Italiens, um die sogenannten Pallii zu rennen, das heißt, um den Preis von Teppichen und schönen Seidenstoffen, welche der Sieger davonträgt. Als Paul dieses Fest gab, liefen an jedem der acht Karnevalstage Pferde, Esel und Büffel, Greise, Jünglinge, Kinder und Juden. Man gab den Juden, wie man auch später zu tun pflegte, ehe sie rannten, reichlich zu essen, um den Lauf ihnen selbst beschwerlicher, dem Volk aber ergötzlicher zu machen. Sie liefen vom Arco Domiziano bis zur Kirche S. Marcus am Ende des Corso in voller Furie und unter dem Hetzgeschrei und dem Jubelgelächter Roms, während der Heilige Vater auf dem reichverzierten Ballon stand und herzlich lachte. Zwar möchte es scheinen, daß die allgemeine Teilnahme an dem Wettrennen, welchem sich auch Römer, Greise, Jünglinge und Kinder unterzogen, den Charakter der Entehrung entfernt habe; doch muß man wohl bedenken, daß dasselbe Vergnügen, welches Römern eine willige Lust war und als ein olympisches Spiel angesehen wurde, für die Juden als Schimpf galt. Wer nun je einem Corsorennen in Rom beigewohnt hat, wo jetzt der Lauf der Pferde an die Stelle des ehemaligen Judenlaufs getreten ist, und wer es gesehen hat, wie das Volk in fast furioser Aufregung mit Geschrei und grellem Gepfeife die hinwegstürzenden Tiere vorüberhetzt, der mag sich leicht vorstellen, wie in jenen barbarischen Zeiten die durch den Corso gehetzten Hebräer mehr als Spießruten laufen mußten.


Vor dem Theatergebäude, welches sich von den andern Häusern nur durch einen großen Theaterzettel unterscheidet, sitzen Verkäuferinnen von Pfefferkuchen und Kürbiskernen, welche in Haufen aufgeschichtet auf den Tischen liegen. Das Volk strömt nach der Kasse. Es ist der Mittelstand, der Handwerker und der Kleinbürger, die vermögend sind, 3 oder 5 Bajocci für einen Theaterabend auszugeben.
Später wollte das Volk den Judenlauf nicht mehr missen, und ich finde in Sprengers «Roma nova» (vom Jahre 1667) die Nachricht, daß die Juden nackt und nur mit einer Binde um die Lenden laufen mußten, und zwar, sagt er, rennen erst die Esel, dann die Juden, dann die Büffel, dann die Berberpferde.


Das Haus hat ganz dieselbe räumliche Einrichtung wie jenes der Puppenkomödie, nur in etwas größerem Maßstabe. Auch hier ruft das Gebaren der Zuschauer im Parterre, welche die krächzende Musik mit Fußstampfen und Pfeifen zu begleiten pflegen oder mit den Händen auf den Banklehnen den Takt schlagen, bisweilen die Montanara ins Gedächtnis. Indes hier ist die Frauenwelt zahlreich vertreten, und nach löblicher italienischer Sitte überschreitet die Heiterkeit niemals die Grenzen des Schicklichen. Man kann Frauen auf den Bänken sitzen und geruhig ihre Kinder säugen sehen, während sie mit aller Lebendigkeit der Handlung auf der Bühne folgen. [...]
Gerade zwei Jahrhunderte lang erduldeten die Juden Roms diese empörende Entehrung, bis sie nach immer wiederholtem Flehen durch päpstliches Edikt davon erlöst wurden. Clemens IX. Rospigliosi befreite sie davon im Jahre 1668 und legte ihnen auf, statt des Rennens jährlich 300 Skudi zu bezahlen, und statt des Vorschreitens vor der Kavalkade des Senators, in der Thronkammer vor den Konservatoren Huldigung zu leisten und die Karnevalsprämien zu überreichen.


=== Don Juan als Ravanello ===
Am ersten Sonnabend des Karnevals pflegten die Häupter der Juden als Deputation der Judenschaft Roms vor den Konservatoren auf dem Kapitol zu erscheinen. Sie warfen sich vor ihrem Sessel nieder, und kniend überreichten sie einen Blumenstrauß und 20 Skudi, mit der Bitte, dies zur Auszier des Ballons zu verwenden, auf welchem der römische Senat auf der Piazza del Popolo seinen Sitz nahm. In gleicher Weise gingen sie zu dem Senator und flehten ihn nach hergebrachter Sitte um die Vergünstigung an, ferner in Rom bleiben zu dürfen. Der Senator setzte seinen Fuß auf ihre Stirn, befahl ihnen aufzustehen, und sagte nach hergebrachter Formel, daß die Juden in Rom nicht aufgenommen, doch aus Barmherzigkeit geduldet seien. Auch diese Demütigung ist gezwungen, aber auch jetzt kommen die Juden am ersten Sonnabend der Karnevalsfeste auf das Kapitol und leisten ihre Huldigung und Tribut für die Pallien der Pferde, welche sie zu beschaffen haben, in Erinnerung dessen, daß nun die Pferde an ihrer Statt das Volk belustigen.


Eines Abends kündigte der Theaterzettel ein besonders vielversprechendes Stück an, dessen Name ist: «Ravanello spaventato da un morto parlante.» (Der durch einen redenden Toten erschreckte Ravanello.) Das mußte also eine außerordentliche Begebenheit sein und eine ergötzliche Vorstellung werden. Es war die Geschichte des {{wpde|Don Giovanni|Don Juan}} im volkstümlich romanischen Gewande. Wie im Spanischen, und wie auch sein eigentlicher Name lautet, heißt er hier Don Tenorio, der Leporello aber heißt {{wpde|Radieschen|Ravanello}}. Donna Anna, Den Octavio und der Kommendatore sind Figuren wie bei uns. In dieser volkstümlichen Fassung ist {{wpd|Don Juan}} keineswegs ein {{wpde|Fausstoff|Faust}} der Sinnenlust, sondern schlechthin ein gottloser und frivoler Lebemann. Sein Charakter wird nur in einer Handlung entwickelt. Er tötet den alten Komtur aus Rache, nachdem er dessen Zimmer nachts erstiegen hat. Als er sich später auf dem Kirchhof findet, folgt dieselbe Szene der Einladung der zu Roß sitzenden Statue, wie sie in unserer Oper vorgestellt wird, nur fehlen die herkömmlichen Witze des Leporello.
([[Ferdinand Gregorovius]]: ''[[Wanderjahre in Italien (Gregorovius)]]'', 1856–1877 [http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=948&kapitel=36&cHash=98092c6ce22#gb_found Der Ghetto und die Juden in Rom] 1853)
 
Der Kommendatore erscheint zum Bankett. Er ist vorgestellt als weißer Mehlteufel in höchst grauenvoller Gestalt. Der erschreckte Don Juan ladet das Gespenst ein, Platz zu nehmen und sich zu bedienen. «Ich esse keine Speise», sagt der Geist. «Willst du Musik hören? « fragt Den Tenorio. «Ja», sagt der Geist. Nun spielt die Musik einige Minuten lang, während Don Tenorio und das Gespenst sich sprachlos gegenüberstehen. Diese Szene ist von einer tiefen Wirkung und, wie man erkennen wird, höchst sinnreich, da die Musik gleichsam als himmlische Macht, als die übersinnliche Stimme Gottes und die Posaune des Gerichts Don Tenorio in die Seele dringen soll. Sobald sie schweigt, ladet der Komtur Don Tenorio seinerseits zu sich, das heißt in das Totengewölbe zum Bankett, und da jener als echter Caballero diese Einladung nicht ausschlagen darf, sagt er zu, sein Gast zu sein.
 
Er geht also in die Totengruft, worin er sich allein befindet. Unter Särgen und Monumenten steht ein schwarzbedeckter Tisch, auf welchem man Teller und Flaschen sieht; das Gedeck ist mit Totenschädeln dekoriert. Plötzlich kündigen, wie in der ersten Geisterszene, laute Stöße unter dem Boden das Erscheinen des Gastgebers an, und die weiße Gestalt tritt, feierlich schreitend, auf. «Iß!» sagt der Geist. Der schaudernde Don Tenorio wendet sich hinweg. «Ich mag nicht essen», ruft er mit bebender Stimme. «Willst du Musik?» - «Ja!» sagt Don Tenorio. Wieder eine wirksame Pause, da nur die Musik spielt. Die Musikanten, vier Hornbläser und ein Bassist, taten ihr möglichstes, um etwas ganz Infernalisches von Tönen zusammenzubringen, und so erkannte man deutlich die Wirkung der Szene auf die Gemüter der Zuhörer.
 
Sobald die Musik schwieg, begann der Geist seine Stimme zu erheben und nach Art eines Kapuzinermönchs eine eindringliche Ermahnungsrede an Don Tenorio zu richten, indem er ihn aufforderte, in sich zu gehen, das Heil seiner Seele zu bedenken und sich zu Gott zu wenden. Der aber verweigert die Bekehrung in kavaliermäßigem Trotz. Nun folgt der Handschlag, das Ergreifen und Festhalten der Hand Don Tenorios, und es öffnet sich Augenblicks eine Falltür, aus welcher schreckliche Flammen von Kolophonium hervorbrechen. Nicht so bald ersieht Don Tenorio diese Falltür, als er auf sie zuschreitet und mit der Tapferkeit des römischen Curtius sich mitten in das {{wpd|Kolophonium}}<ref>Hier ist damit ein künstliches {{wpde|Pyrotechnik|Bühnenfeuer}} gemeint.</ref>hineinstürzt.
 
In der letzten Szene sieht man die Hölle selbst mit bengalischen Flammen, oder den entsetzlichen weit aufgesperrten Höllenrachen. Jetzt stürzt Don Tenorio herein; halbnackt, an den Armen gefesselt und mit gesträubtem Haar, wälzt er sich am Boden, während ihn einige Kobolde von der höllischen Inquisition zwicken. In solcher Pein ruft der Verdammte: «Schon tausend Jahre schmachte ich hier, ist keine Rettung?» Hinter der Szene brüllen die Dämonen: «Keine! Keine!» Der Vorhang fällt.
Dies ist Don Juan in seiner volkstümlichen Behandlung; aller Nachdruck geht auf die moralische Wirkung, das Possenhafte verschwindet fast gänzlich, und der Ravanello ist eine ganz unbedeutende Figur geworden; denn die Färbung von Humor, welche das Stück anfangs zeigt, verliert sich schon in seiner Hälfte.
 
=== Francesca da Rimini als Parodie ===
 
Wir sehen, daß dieses Teatro Emiliani ziemlich interessante Dinge von tragischem Kaliber vorzuführen imstande ist, und so wollen wir es uns nicht nehmen lassen, die erschütterndste Tragödie der italienischen Poesie auf ihm spielen zu sehen, nämlich «{{wpd|Francesca da Rimini}}».
 
Die weltberühmte Episode des {{wpde|Dante|Danteschen}} {{wpde|Göttliche Komödie|Gedichts}} hat sowohl Maler als auch Dichter zur Behandlung gereizt und dramatische Versuche veranlaßt, die sich alle als undramatisch erwiesen haben. Selbst {{wpd|Byron}} sagt in seinen Tagebüchern, daß er den Gedanken faßte, eine Tragödie «Francesca da Rimini» zu schreiben. Es ist zu bedauern, daß er es nicht getan hat; wenn er auch kein Bühnenstück geliefert hätte, so war er doch der Poet dazu, große Leidenschaften groß aufzufassen. Die Einfachheit der Handlung erschwert den dramatischen Fortschritt, sie fordert einen empfindenden Dichter, welcher die Sprache des Herzens versteht. Silvio Pellico ist der einzige, der ihr nahegekommen ist. Seine «Francesca da Rimini» hat eine gute innerliche Entscheidung bei sehr edel gefaßten Charakteren, wenn auch die dramatische Wirkung nicht groß ist. Das Stück ist in Italien klassisch und wird auf kleinen wie auf großen Bühnen gespielt. Hier in Rom spielten es in diesen Tagen zwei Theater nebeneinander, das Teatro della Valle als ernstes Trauerspiel, das Teatro Emiliani als Posse.
 
Sehen wir es also auf der Navona. Die Schauspieler tragieren es hier im römischen Dialekt, das ist in der platten Mundart von {{wpd|Trastevere}}. Es wird {{wpde|Travestie|travestiert}} oder trasteveriert. Es ist, als gäbe man «Iphigenia» plattdeutsch oder den «Faust» in der niederländischen Übersetzung des Vleeschhauer. Bei uns wäre eine solche Karikatur des Tragischen unmöglich. Wo würde sich wohl eine noch so kleine Bühne finden, welche es wagen sollte, «Maria Stuart» als lachenerregende Travestie vor dem Volk zu spielen? Man travestiert bei uns die Tragödien nur durch schlechtes Spiel, nicht aber aus Absicht zu ergötzen.
 
Auf der Navona traf alles zusammen, um die größtmögliche Lächerlichkeit zu erregen, der platte Dialekt und das schon von Natur entsetzliche Spiel der Schauspieler, namentlich der Francesca selbst. Indem sie die tragischen Rollen, welche der Dialekt lächerlich macht, ernst spielten und von dem Kothurn immer wieder auf die Socken fielen, glichen sie jenen Schauspielern von Pyramus und Thisbe. Der alte Guido von Ravenna hatte sich einen Buckel gemacht und spielte in samtenen Hosen und in Hemdärmeln als Kobold. Die unglückliche Francesca glich einer von Gesundheit strotzenden Milchmagd, und Lanciotto und Paolo hatten Figur und Art von zwei ledernen Raufbolden, welche schimpfend und schreiend die Plempen ziehen. Sie spielten jedoch mit vollem Ernst und in unveränderter Handlung des Stücks, nur war jede erhabene Sentenz ins Trasteverinische nicht allein dem Wortlaut, sondern auch dem Gedankenausdruck nach herabgestimmt. Dieselbe Tragödie war stehengeblieben, aber sie war nach dem Rechte des Karnevals in eine Hanswurstjacke gesteckt, und die Muse der Tragödie hatte sich gleichsam das Gesicht beschmiert und sich mit Kohle einen Schnurrbart angemalt.
 
Der Fremde, welcher in die Unterschiede des reinen Italienisch und des Trasteverinisch nicht eingeweiht ist, lacht nur über die Verhunzung des Tragischen selbst, der Römer aber lacht über den Dialekt. Es ist ein ganz lokalrömisches Vergnügen. Als einmal der alte Herr von Ravenna zur Francesca sagte: «State mosca!», brach das Publikum in ein schallendes Gelächter aus. Ich fragte einen neben mir sitzenden jungen Menschen, der sich in Lachkrämpfen wand: «Warum lacht ihr denn eigentlich?» - «Mosca», sagte er, «o mein Gott! So sagen sie ja in Trastevere statt zitto (stille).» Statt «niente» (nichts) sagt der Dialekt «nientaccio», wie überhaupt das accio und uccio ein vorherrschendes Anhängsel in Trastevere ist, und jedesmal erregte das ein schallendes Gelächter.
Der Dialekt liebt, wie jede platte Mundart Italiens, das ne anzuhängen und die Verbalendungen are und ire zu verschlucken, er sagt deshalb andane und partine statt andare und partire. Ebenso verwandelt er das l gern in r und sagt also statt del teatro: der teatro. Indes verstellte man auch die Ausdrucksweise ins Platte; Lanciotto sagte einmal zu Paul: «Warte, ich will dich zerhacken wie eine Wurst.» Bei Silvio Pellico schließt das Stück: «Es ist genug Blut, daß die Sonne, wenn sie wiederkehrt, schaudert»; im Dialekt hieß es: «daß die Sonne, wenn sie wiederkehrt, das Zipperlein kriegt». Die Stelle im Dante, wo Francesca und Paul die Liebesgeschichte von {{wpd|Lancelot}} und {{wpde|Guinevere|Ginevra}} lesen, wurde so travestiert, daß gesagt wurde: «Wir lasen eines Tags die schöne Geschichte von Chiarina und Tamante.» Dies ist nämlich eine Liebesgeschichte aus Korsika, welche als fliegendes Blatt durch ganz Italien verbreitet ist und hier überall verkauft wird, wie bei uns die neuen Lieder.
 
«Was würden wohl Dante und Silvio Pellico dazu sagen, wenn sie diese Tragödie auf den Brettern in solcher Form sähen?», so fragte ich einen meiner Nachbarn. Der Mann sah mich verwundert an, und nachdem er begriffen zu haben schien, was ich meinte, sagte er: «Eh! Si vuol ridere.» Ich habe nun in Wahrheit kaum etwas Lachenswürdigeres gesehen als jene Szene, in welcher Lanciotto den Bruder und sein Weib ersticht, und wie diese beiden Liebenden nun niederfallen, Paul zur Francesca, welche hier Checca heißt, sagt: «Checca, verzeihe mir - ach, sie ist kaput! - nun bin ich auch kaput», und wie der Signor von Ravenna, buckelig, in samtmanchesternen Hosen und in Hemdärmeln an den Leichen steht und zu Lanciotto sagt: «Genug Blut, daß die Sonne, wenn sie wiederkehrt, davon das Zipperlein kriegt.» Der Vorhang fällt. Man kann im Theater Emiliani auch Medea im dialetto romanesco vorstellen sehen, oder sich an der «Didone abbandonata» ergötzen, worin Äneas als der mythische Ahnherr der Römer dem Volk mit heroischen Erinnerungen schmeichelt. Doch sei dessen genug.
 
''[[Ferdinand Gregorovius]]: [[Wanderjahre in Italien (Gregorovius)|Wanderjahre in Italien]], S. 181ff''
 
== Fußnoten ==
<references/>
 
 
[[Kategorie:Italien]]
[[Kategorie:Theater]]

Version vom 10. August 2007, 08:14 Uhr

Entwürdigende Behandlung der Juden

Für diese karnevalischen Spiele auf der Piazza Navona, am Hügel Testaccio und auf dem Corso hatte sich nach und nach die Sitte festgestellt, die Juden zur Volksbelustigung zu mißbrauchen. Nicht allein mußten sie sich der Entehrung unterwerfen, einen Trupp ihrer Ältesten, in Jacken oder Wämser gekleidet, der Kavalkade der Senatoren voranschreiten zu lassen, wenn diese den Corsozug eröffneten, sondern sie selbst mußten zur Schau rennen. Paul II., ein Venezianer, war es, welcher im festlich begangenen Friedensjahr 1468 den Römern zuerst die Corso-Rennschauspiele zum besten gab und auch die Juden öffentlich rennen ließ. Noch heute ist es Festsitte in den Städten Italiens, um die sogenannten Pallii zu rennen, das heißt, um den Preis von Teppichen und schönen Seidenstoffen, welche der Sieger davonträgt. Als Paul dieses Fest gab, liefen an jedem der acht Karnevalstage Pferde, Esel und Büffel, Greise, Jünglinge, Kinder und Juden. Man gab den Juden, wie man auch später zu tun pflegte, ehe sie rannten, reichlich zu essen, um den Lauf ihnen selbst beschwerlicher, dem Volk aber ergötzlicher zu machen. Sie liefen vom Arco Domiziano bis zur Kirche S. Marcus am Ende des Corso in voller Furie und unter dem Hetzgeschrei und dem Jubelgelächter Roms, während der Heilige Vater auf dem reichverzierten Ballon stand und herzlich lachte. Zwar möchte es scheinen, daß die allgemeine Teilnahme an dem Wettrennen, welchem sich auch Römer, Greise, Jünglinge und Kinder unterzogen, den Charakter der Entehrung entfernt habe; doch muß man wohl bedenken, daß dasselbe Vergnügen, welches Römern eine willige Lust war und als ein olympisches Spiel angesehen wurde, für die Juden als Schimpf galt. Wer nun je einem Corsorennen in Rom beigewohnt hat, wo jetzt der Lauf der Pferde an die Stelle des ehemaligen Judenlaufs getreten ist, und wer es gesehen hat, wie das Volk in fast furioser Aufregung mit Geschrei und grellem Gepfeife die hinwegstürzenden Tiere vorüberhetzt, der mag sich leicht vorstellen, wie in jenen barbarischen Zeiten die durch den Corso gehetzten Hebräer mehr als Spießruten laufen mußten.

Später wollte das Volk den Judenlauf nicht mehr missen, und ich finde in Sprengers «Roma nova» (vom Jahre 1667) die Nachricht, daß die Juden nackt und nur mit einer Binde um die Lenden laufen mußten, und zwar, sagt er, rennen erst die Esel, dann die Juden, dann die Büffel, dann die Berberpferde.

Gerade zwei Jahrhunderte lang erduldeten die Juden Roms diese empörende Entehrung, bis sie nach immer wiederholtem Flehen durch päpstliches Edikt davon erlöst wurden. Clemens IX. Rospigliosi befreite sie davon im Jahre 1668 und legte ihnen auf, statt des Rennens jährlich 300 Skudi zu bezahlen, und statt des Vorschreitens vor der Kavalkade des Senators, in der Thronkammer vor den Konservatoren Huldigung zu leisten und die Karnevalsprämien zu überreichen.

Am ersten Sonnabend des Karnevals pflegten die Häupter der Juden als Deputation der Judenschaft Roms vor den Konservatoren auf dem Kapitol zu erscheinen. Sie warfen sich vor ihrem Sessel nieder, und kniend überreichten sie einen Blumenstrauß und 20 Skudi, mit der Bitte, dies zur Auszier des Ballons zu verwenden, auf welchem der römische Senat auf der Piazza del Popolo seinen Sitz nahm. In gleicher Weise gingen sie zu dem Senator und flehten ihn nach hergebrachter Sitte um die Vergünstigung an, ferner in Rom bleiben zu dürfen. Der Senator setzte seinen Fuß auf ihre Stirn, befahl ihnen aufzustehen, und sagte nach hergebrachter Formel, daß die Juden in Rom nicht aufgenommen, doch aus Barmherzigkeit geduldet seien. Auch diese Demütigung ist gezwungen, aber auch jetzt kommen die Juden am ersten Sonnabend der Karnevalsfeste auf das Kapitol und leisten ihre Huldigung und Tribut für die Pallien der Pferde, welche sie zu beschaffen haben, in Erinnerung dessen, daß nun die Pferde an ihrer Statt das Volk belustigen.

(Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien (Gregorovius), 1856–1877 Der Ghetto und die Juden in Rom 1853)