Texterschließung
Eine Texterschließung als Arbeitsform zielt im Unterschied zur Textwiedergabe nicht darauf ab, einen Text so klar und übersichtlich wie möglich vorzustellen, sondern aufzuzeigen, was man von einem vorliegenden schwierigen Text verstanden hat.
Das ist besonders interessant bei naturwissenschaftlichen Texten, kann im Deutschunterricht aber auch sinnvoll an überdurchschnittlich schwierigen Texten geübt und getestet werden.
Zur Texterschließung gehören die Schritte:
- Orientierung im Text
- Bildung von Verstehensinseln (Heraussuchen der Stellen, wo man etwas versteht)
- Verbindungen zwischen Verstehensinseln suchen
- den roten Faden suchen
- abschließend über das Verstandene reflektieren
Dies kann man an unterschiedlich schwierigen Texten üben. Für den Test empfiehlt sich ein etwas einfacherer Text, für den nur drei Schritte ausformuliert werden sollen: Thema (Worum geht es?), Textwiedergabe und roter Faden.
Beispiel eines Tests zur Texterschließung
Lessing in der Vorrede zu einem Entwurf einer Abhandlung über »Bibliolatrie« (Bibelverehrung) aus dem Jahre 1779:
Einordnung des Textes
In diesem Entwurf zu einem Vorwort versucht Lessing im Fragmentenstreit sein Plädoyer für ein aufgeklärtes Verhältnis zu Religionen als einen Versuch der Vermittlung zwischen orthodoxem Bibelverständnis und radikaler Religionskritik zu beschreiben. Insofern kann man den Text als eine rationale Rechtfertigung der Intention seines im selben Jahre erschienenen Theaterstücks Nathan der Weise verstehen.
Text
Aufgabenstellung
1) Worüber schreibt Lessing im vorliegenden Text?
2) Geben Sie den Text mit Ihren eigenen Worten wieder.
3) Stellen Sie kurz den „roten Faden“ dar.
Beispiel für eine Lösung
Thema
Über die Wirkung der Lektüre religiöser Schriften auf Lessing (Wortblock)
Lessing schreibt darüber, weshalb er so viele Schriften über Wahrheit und Unwahrheit der Religion gelesen hat, und darüber, wodurch er in seinem Urteil verunsichert wurde. (Satz)
Textwiedergabe
Lessing führt in seiner Vorrede zu einem Entwurf einer Abhandlung über Biblioatrie aus, die wesentliche Phase seines Lebens habe in einer Zeit gelegen, wo Schriften über das Christentum populär, ja geradezu Mode gewesen seien. Zu Modeschriften komme es meist, wenn ein hervorragendes Werk zu einem Gegenstand erschienen sei und sich andere an dessen Erfolg anzuschließen suchten. Weil in einem solchen Fall so viel zu diesem Thema erscheint, müsse jemand, der als informiert gelten wolle, sich auch damit beschäftigen. So habe auch er praktisch alles, was zu dieser Frage an Neuem erschienen sei, gelesen. Dadurch sei bei ihm allerdings die Neugier entstanden, zu erfahren, was gegen die Religion gesagt werde. Ob es insofern ein Fehler gewesen sei, so viele Schriften für das Christentum zu lesen, wolle er offen lassen. Jedenfalls habe er alle Schriften gegen die Religion ebenso unparteiisch gelesen wie die für das Christentum. So habe er bei dieser Lektüre einige Zeit zwischen beiden Seiten geschwankt, je nach dem, welche Schrift er gerade gelesen habe. Und so sei es wohl auch anderen ergangen.
Doch dann habe er festgestellt, dass die Texte, je polemischer sie wurden, auf ihn immer weniger den Eindruck machten, den sie anstrebten. Vielmehr hätten ihn die Schriften für das Christentum am Christentum zweifeln lassen, während die Schriften dagegen ihn dazu gebracht hätten, am Christentum festzuhalten.
Seiner Meinung nach kann das nicht allein an einer normalen Reaktion auf einen Druck, sich für eine Meinung entscheiden zu sollen, liegen, sondern muss auch mit der Argumentationsweise der Schriften zusammenhängen.
Roter Faden
Lessing schreibt, er habe viele Schriften über Religion gelesen, weil sie in Mode waren. Da er so viele davon gelesen habe, habe er auch Interesse für die Schriften der Gegenseite entwickelt und sich bei der Lektüre um ein gerechtes Urteil bemüht. Dabei sei er, je mehr Schriften er gelesen habe, desto mehr durch die Schriften für das Christentum gegen das Christentum eingenommen worden, dagegen von den Schriften gegen das Christentum darin bestärlt worden, am Christentum festzuhalten. Das müsse auch mit der Art, wie in diesen Schriften argumentiert worden sei, zusammenhängen.
Reflexion zur Aufgabenstellung
Es ist nicht ganz einfach zu erkennen, dass Lessing mit dieser Vorrede zu seiner geplanten Schrift über Bibelverehrung zu verstehen gibt, dass seiner Meinung nach die eifrigsten Verteidiger des Chritentums dem Christentum den größten Schaden antun. Und das, obwohl er es in den letzten Sätzen ganz deutlich ausspricht.
Denn er hütet sich - wie auch in seiner Schrift "Über den Beweis des Geistes und der Kraft" - offen auszusprechen, dass er einen vernunftwidrigen Glauben an Wunder für ein Zeichen von Unverstand hält. Vielmehr verteilt er in dieser Vorrede die Kritik noch gleichmäßig auf Verteidiger und Kritiker des Christentums. Dass er als Aufklärer aber kein Befürworter von Bibelverehrung ohne vernünftige Kritik sein kann, das kann man sich denken, auch wenn er aus Rücksicht auf die orthodoxe buchstabengläubige Mehrheit es vermeidet, das ganz deutlich auszusprechen.
Er kündigt also keine Schrift für oder gegen das Christentum an, sondern eine Schrift über Bibelverehrung. Und dass diese kritisch ausfallen wird, rechtfertigt er in diesem Vorwort.
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