Katholische Religionslehre/Gottesbeweis und Katholische Religionslehre/Kreuz: Unterschied zwischen den Seiten

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Dieser Artikel, ein Bestandteil des ZUM-Wiki-Books Katholische Religionslehre, behandelt das Kreuz als theologisches Thema, das für den Oberstufenunterricht in Katholischer Religion geeignet ist.<ref>Die Argumentation folgt teilweise dem Buch: René Girard: Ich sah den Teufel vom Himmel fallen wie einen Blitz (1999), deutsch Wien 2002</ref>
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== Die Fragen ==
Jesus von Nazaret ist der Held der Evangelien und die Erlöserfigur des Christentums. Seine Lebensgeschichten, die Evangelien, sind so zusammengestellt, dass sie von Anfang an auf den Kreuzestod Jesu hinauslaufen. [Matthäus 2,11.16-18; Lukas 2,34-35] Zwei zentrale christliche Glaubenstatsachen gehören also unmittelbar zusammen: „Jesus, unser Messias, ist am Kreuz gestorben“, und „Jesus hat uns erlöst“. Diese Sätze zwingen uns als vernunftbegabte Menschen, Fragen zu stellen; es sind vor allem folgende:
<ul>
<li>Warum musste Jesus am Kreuz sterben?
<li>Hatte Gott, der Allmächtige, keine gewaltfreie Möglichkeit uns zu erlösen?
<li>Welche Deutung ist dem Kreuzestod Jesu angemessen – „Opfer“ oder „Strafe“? </ul>
== Das Faktum ==
7. April 30: Jesus wird als Opfer eines Justizmordes durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus am Kreuz hingerichtet.<br>
Die Verurteilung durch einen Römer ist gewiss, denn Juden hätten ihn nicht gekreuzigt, sondern gesteinigt. Das Verbrechen, das man ihm zur Last legte, Umsturz und Aufruhr, hat Jesus nicht begangen. Der Prokurator Pontius Pilatus wusste das, denn sonst hätte er nicht Jesus umgebracht und seine Leute laufen lassen.<br>
[[Datei:Pilatusstein.jpg]]<br>
Die Römer sind nicht auf eigene Initiative tätig geworden, sondern jüdische Behörden klagten Jesus bei ihnen an. Die Evangelien berichten, dass alle beteiligten Autoritäten (der Hohe Rat der Juden, der römische Prokurator Pilatus, König Herodes) zögern, das Todesurteil gegen Jesus zu verhängen. Unter Druck willigt Pilatus in die Kreuzigung ein. (Markus 15,11-13)<br>
Dies ist historisch plausibel: Die Beteiligten haben Angst vor Intrigen, Übergriffen und spontanen Gewaltausbrüchen. Pilatus wird sechs Jahre nach der Kreuzigung Jesu sein Amt aufgrund von Denunziationen verlieren; und dreißig Jahre später werden Aufstände ausbrechen, die den Untergang der Reichsprovinz Iudaia heraufbeschwören. Das begründet die Nervosität der Verantwortlichen.<br>
Jesus, dem der Ruf eines Wunderheilers und Propheten vorauseilt, wollte kein politischer Führer sein will. Doch trotzdem könnte alleine die Anwesenheit eines Propheten in der überfüllten Wallfahrtsstadt Jerusalem Unruhen auslösen; darum muss er verschwinden. Zugleich ist zu befürchten, dass sich der Hass der von Jesus begeisterten Menschen an dem abreagieren wird, der ihn tötet. Aus diesem Dilemma suchen alle Beteiligten ihren Ausweg.<br>
<br>
== Der Hintergrund: Strafe und Opfer ==
Das Böse zerstört; es tut dem Leben Gewalt an. Wenn das Böse sich als Gewalttat eines einzelnen Schuldigen zeigt, fällt es auf, ist es nicht zu übersehen. Die Schuld ist aber auch Symptom eines Prozesses, der langfristig auf die Störung und Zerstörung des Lebens gerichtet ist, weil wir uns gegenseitig nachahmen. Wir teilen aggressive Emotionen, nehmen teil an der Steigerung des Hasses, der Verachtung, und wir sind beteiligt an Handlungen, die das Leben entwürdigen, für wertlos erklären und dann auch physisch vernichten, wir sind Teil der Eskalation, die uns über den Kopf wächst.<br>
Wir Menschen würden die zerstörerischen Prozesse gerne stoppen, die stärker geworden sind als wir selbst. Dazu fallen uns zunächst mal zwei Möglichkeiten ein: Strafen und Opfern.<br>
'''Die Strafe''' versucht den zu vernichten oder wenigstens aus der Gemeinschaft auszu¬schließen, der Gewalttaten begangen hat und dem man eine Ursächlichkeit für Prozesse der Vernichtung zurechnet.<br>
'''Das Opfer''' besteht in der Vernichtung hochwertiger Wirtschaftsgüter zu Ehren der Transzendenz. Es bringt unmittelbar Macht, Reichtum, Verfügungsgewalt zum Ausdruck und stabilisiert einen status quo. Darum sind Opfer in der Religionsgeschichte so prominent. Offenbar beseitigen sie nicht die sichtbaren Gewaltursachen, die Schuldigen. Es geht viel mehr um Manipulation von Ursachen irdischer Vernichtungsprozesse, denen sich die Menschen unterlegen fühlen und die sie deshalb als übernatürlich erleben: Man möchte die beteiligten Götter und Geister umstimmen. Ein Tier und vor allem einen Menschen zu opfern bedeutet nicht an dessen Schuld zu glauben, im Gegenteil, es werden oft Opfergaben ausgesucht, die in besonderer Weise Unschuld symbolisieren – ein fehlerfreies Lamm (Exodus 12,5) -, aber es ist in Ordnung vor den Göttern, es muss sein.<br>
== Frühe Deutungsmuster: ==
=== Der stellvertretend Gestrafte ===
Wofür ist Jesus bestraft worden? – Als er starb, stand, so sagt es die Bibel, über seinem Kopf eine Inschrift in aramäischer, griechischer und lateinischer Sprache. Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – abgekürzt „INRI“ –, so wird die Inschrift auf unseren Kreuzesdarstellungen wiedergegeben. In der Kirche Santa Croce di Jerusaleme wird eine Schrift gezeigt, die nur eine aramäische Fassung zeigt, bestehend aus den Buchstaben "J SCH U N Z R M M". Das liest sich so: Jeschu Nazara Melekem; übersetzt: Jesus Nazarener euer König.<br>
Nach dem Bericht der Evangelien weigert sich Pilatus, die Inschrift dahingehend zu verändern, dass Jesus Anmaßung vorgeworfen wird – Schreib, er habe gesagt, er sei König. – (Johannes 19,21-22). Pilatus lässt Jesus als Repräsentanten eines Volkes kreuzigen, das in seinen Augen für Auflehnung und Widerstand steht. In dem, was die Evangelien aus den Prozessen vor dem Hohen Rat und vor dem Statthalter berichten, kommt mit keinem Wort zur Sprache, was man Jesus als Übergriff am ehesten hätte vorwerfen können: Sein provozierender Einzug in Jerusalem, seine Angriffe auf die religiösen Autoritäten oder die Tempelreinigung. Alle Verhandlungen kreisen darum, ob Jesus „König“, „Messias“ oder gar „Sohn Gottes“ zu sein beansprucht habe. Es ist also in keiner Weise die Gewaltbereitschaft Jesu, die ihn ans Kreuz bringt, sondern ausschließlich die Gewaltbereitschaft derer, die einen solchen gewaltverneinenden König nicht akzeptieren können. Die bestürzende und verstörende vollständige Weigerung Jesu sich zu verteidigen, auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten wird im Rückgriff auf ein Wort des Propheten Jesaia ausgedrückt: Wie ein Lamm verstummt, wenn man es schert, so tat er seinen Mund nicht auf. (Apostelgeschichte 8,32; vgl. Jesaia 53,7)
=== Das Sündopfer ===
Nachdem Amos und Hosea die Religion der Könige Israels hart angegriffen hatten und die Geschichte Israels, Exil und Rückkehr, der alternativen Religion der Propheten zum Durchbruch verholfen hatte, blieb im Frühjudentum bis zur Zerstörung des Tem¬pels das Tieropfer doch in Ge¬brauch, auch in der Gestalt des Sündopfers, das der Entschuldung dient: Aaron darf nur so in das Heiligtum kommen: mit einem Jungstier und einem Widder für ein Sündopfer und Brandopfer. (Levitikus 16,3) <br>
Der Versöhnungstag vollzog rituell die Übertragung aller Sünden des Volkes auf einen Ziegenbock, der anschließend zu Azazel, also in die Wüste geschickt wird:
Die politisch Verantwortlichen hätten gerne Jesus dem Volk als Sündopfer präsentiert. Dann wäre es irgendwie in Ordnung gewesen ihn hinzurichten. Der Hohe Priester Kaiaphas sagt, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht. (Johannes 11,50). Jesus ist nicht wirk¬lich die Ursache des Aufruhrs. Aber er ist anders als die anderen, von ihm geht eine Macht aus, die – auch wenn sie heilend in Erscheinung tritt - Ruhe und Ordnung stört.<br>
Als Jesus stirbt, scheint der Sündopfermechanismus tatsächlich zu funktionieren: An diesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; vorher waren sie Feinde gewesen. (Lukas 23,12). Die Hohenpriester antworten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. (Johannes 19,15) Noch am Abend wird die Hinrichtungsstätte aufgeräumt: <br>
Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag. (Joh 19, 31) Rechtzeitig zum Fest bricht die große Einigkeit aus. Sogar Jesus bekommt ein vornehmes Grab; darüber versöhnen sich die, die einander zuvor spinnefeind gewesen waren.
== Das Kreuz als Wendepunkt der Geschichte menschlicher Gewalt ==
Zu Pfingsten – 50 Tage nach der Folter und Hinrichtung Jesu - zerbricht eine kleine Schar von Jesusgetreuen den faulen Frieden:<br>
Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst - ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. (Apostelgeschichte 2,22-23)<br>
Jetzt steht alles in einem anderen Licht: Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?
Die Antwort des Petrus:<br>
Lasst euch retten aus dieser verdorbenen Generation! (Apg 2, 37.40)<br>
Solange im Umgang mit der Gewalt nur zwei Varianten der Gegengewalt ins Auge gefasst werden, Strafe und Opfer, muss man Folgendes in Kauf nehmen:
<ul>
<li>Zerstörung des Lebens um der Zerstörung willen (böse Gewalt) und Zerstörung des Lebens mit der Absicht der Zerstörung des Zerstörungsprozesses (gute Gewalt: Opfer oder Strafe) sehen einander zum Verwechseln ähnlich, und das gilt auch von allen begleitenden Emotionen und Kommunikationen. Gewalttäter können sich immer damit rechtfertigen nur Gegengewalt auszuüben, so stellen sie sich als Wohltäter dar, und sie finden damit gewöhnlich Anklang bei Gleichgesinnten.
<li>Wenn im realen Leben gute und böse Gewalt so schwer zu unterscheiden sind, gibt es eine hohe psychologische Prämie darauf sich überhaupt rauszuhalten aus allem, sich fernzuhalten von Gewalt und Gegengewalt, allenfalls aus der Ferne zuzusehen.<ref>Der Beliebtheit dieses Motives hat Hans Blumenberg eine metaphorologische Studie gewidmet: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt 1986, wieder aufgelegt Frankfurt 2005</ref> 
<li>Es gibt keinerlei Impuls eigene Schuld einzugestehen. Denn das würde ja nur zur Folge haben, die Vernichtung des eigenen Lebens zu rechtfertigen. <br>


== Was ist ein Beweis? ==
Beide Strategien der Gegengewalt richten sich also vor allem gegen eine Ressource, der mehr als den anderen die Überwindung der zerstörerischen Prozesse wirklich zugetraut werden kann: Die klare Einsicht in den eigenen Anteil an Schuld und die geduldige Überwindung der Emotionen und Kommunikationen, die alle Menschen an Prozessen der Lebenszerstörung teilnehmen lassen. Und den Durchbruch zu dieser Ressource eröffnet uns Jesus bereits vor seinem grausamen Tod auf drei Weisen:
 
=== Jesus wusste, was im Menschen ist. (Johannes 2,25) ===
=== Mathematische Beweise ===
Er hat die Mechanismen der Verschleierung und Verdrängung insbesondere in seinen Gleichnissen exakt angesprochen: Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und dabei steckt in deinem Auge ein Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du ver¬suchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. (Mt 7,4-5) Natürlich durchkreuzt der Vergleich die Rationalität des Verhaltens, Schuld bei den an¬deren zu suchen; denn der belustigte Zuhörer Jesu fragt unweigerlich, ob ein Bal¬ken im Auge nicht stört und man ihn deshalb so schnell wie möglich los werden will.
Am besten nehmen wir ein Beispiel, den Beweis des {{wpd|Euklid}} für die Unendlichkeit der Reihe der Primzahlen.
=== Jesus als Arzt ===
 
Jesu irdisches Wirken lässt sich mehr als durch irgendeine andere Metapher als das eines Arztes verstehen nach dem programmatischen Wort: Nicht die Gesunden brau¬chen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. (Markus 2,17) Es sind zwei Stellen aus dem Alten Testament, auf die Jesus zurückgreifen kann: Wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst und tust, was in seinen Augen gut ist, wenn du seinen Geboten gehorchst und auf alle seine Gesetze achtest, werde ich dir keine der Krankheiten schicken, die ich den Ägyptern geschickt habe. Denn ich bin der Herr, dein Arzt. (Exodus 15,26) und für den Zusammenhang zwischen Schuld und Therapie: Wer gegen seinen Schöpfer sündigt, muss die Hilfe des Arztes in Anspruch nehmen. (Sirach 38,15) Jesu therapeutische Leistung richtet sich also nicht nur und nicht zentral gegen körperliche Gebrechen, sondern gegen die Schuld. Jesu Selbstbeschreibung als Arzt steht in direktem Zusammenhang mit seinem Tod. Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen, verhöhnen ihn die Schriftgelehrten, als er am Kreuz hängt. (Mk 15,31) Und damit bestä¬tigen sie Jesu eigene Voraussage: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! (Lk 4,23)
Definition: Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl, die nur durch sich oder durch 1 glatt geteilt werden kann. Wenn ich einen Kuchen in 7 Stücke aufschneide, dann können 7 Personen oder eine gerecht bedacht werden, wenn ich ihn in 6 Stücke teile, kann ich auch 2 oder 3 Personen einen gerechten Anteil geben. Deshalb ist 7 eine Primzahl und 6 nicht.
Aber Jesus braucht keine Heilung, weil er gesund ist. Weder seine Menschenliebe, noch sein Gottesverhältnis nehmen durch die ihm angetane Brutalität Schaden, er betet für seine Peiniger und behält sein Gottvertrauen in letzter Verlassenheit.
 
=== Jesus als Lamm ===
Wenn wir annehmen, es gebe eine höchste Primzahl, dann gibt es auch eine Liste aller Primzahlen, und ich kann ein Produkt aller Primzahlen bilden. Ich nenne es PP.
Während wir unsere Schuld zu verschweigen pflegen, weil wir die Strafe fürchten, verschweigt Jesus seine Unschuld. Er verzichtet darauf für sich zu sprechen und sich zu rechtfertigen, weil er daran glaubt, dass ihm selbst die Todesstrafe nichts anhaben kann: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, son¬dern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. (Mt 10,28)
 
Das Symbol des Lammes enthält beide Aspekte dieses revolutionären Verhaltens: Als Symbol der Unschuld bringt es zum Ausdruck, dass auch noch der geringste Ver¬dacht der Gegengewalt bei Jesus wegfällt; als klassisches Opfertier deutet es an, wie sich das grausame Geschehen mit unfehlbarer Gewissheit gerade an dem austobt, der die ihm zur Verfügung stehende Gewalt -  mehr als zwölf Legionen Engel – nicht in Anspruch nimmt (Mt 26,53).
Dann gilt: PP-1 und PP+1 können nicht Produkte der Primzahlen sein, die wir schon kennen; sie müssen entweder selber Primzahlen sein oder das Produkt zweier Primzahlen, die in unserer Liste noch nicht vorkommen.
Zugang zur Therapie hat nur, wer sich einer wahrhaftigen Diagnose öffnet, nur wer seine Schuld geduldig erforscht und sich auch um Hilfe bemüht, hat eine Chance ge¬heilt zu werden. Dass das ganze Thema unangenehm ist, dass der Bußfertige aus¬ge¬nutzt und zum Opfer gemacht werden kann, bleibt wahr und bleibt schlimm, und alle Furcht ist menschlich und verständlich. Aber wahr ist auch, es gibt Schlimmeres: Keine Diagnose, keine Therapie, keine Rettung, und das Leben zerrinnt zwischen den Fin¬gern, es gibt keinen inneren und äußeren Frieden und man weiß nicht einmal warum, weil man es nicht wissen will und nicht zulassen kann.<br>
 
Jesus, das Lamm, ist ein neuer Typ Held; der stoischen Raushaltekultur, die bei den Römern damals schick war, setzt Jesus eine Kultur des Freundschaftsdienstes, des liebenden Engagements entgegen, die rückhaltlosen, aber gewaltfreien Einsatz bedeutet: Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. (Joh 15,12-15)<br>
Beispiel: Nehmen wir einmal wider besseres Wissen an, die Zahl 13 sei die größte Primzahl. Das Produkt 2*3*5*7*11*13 = 30030 wäre dann das Produkt aller Primzahlen (PP). Doch die beiden Zahlen PP-1 und PP+1 können durch keinen der Primfaktoren von PP geteilt werden, und , in der Tat: 30029 ist eine Primzahl, und 30031 = 59 * 509 ist das Produkt zweier Primzahlen, die größer als 13 sind.
Diese Kultur der Liebe hat schon in der Antike zahllose Menschen begeistert, sodass die polytheistischen Opferkulte und Orakel innerhalb weniger Jahrhunderte als leer und bedeutungslos empfunden und aufgegeben wurden. Und heute, da die Kirche an Macht und Einfluss verliert, weil man ihr das Zurückbleiben hinter der Vorbildlichkeit Jesu vorhält, das die Kirche selbst allerdings freimütig zugibt, gerade heute gewinnt das Vorbild Jesu an Einfluss. Das kann insbesondere daran abgelesen werden, dass die Perspektive der Opfer relevanter geworden ist als jemals zuvor in der Geschichte. Zahllose Hilfsorganisationen kümmern sich um Menschen in Not, und die Medien interessieren sich für Schicksale gerade auch derer, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen. Dass das im Reality-TV auch merkwürdige Auswüchse zeitigt, und dass die mediale Selbstdarstellung und Selbststilisierung als Opfer nicht in allen Fällen wahrhaftig und gerecht ist, muss dabei gar nicht bestritten werden. Trotzdem gilt: Die einzige Krone, die heute noch zählt, ist die Krone der Martyrer. (Klaus Berger) Demonstrationen von Macht und Reichtum, Gewalt und Grausamkeit nehmen uns nicht mehr für, sondern gegen die Mächtigen ein; wer sich gewaltfrei, aber mit dem Einsatz seines ganzen Lebens für seine Sache einsetzt – Ich nenne den Dalai Lama, Johannes Paul II, Mutter Teresa von Kalkutta, Martin Luther King, Mahatma Gandhi als herausragende Zeitgenossen. – kann darauf rechnen, von uns ernst genommen zu werden, gerade dann, wenn er oder sie einen offenen Umgang mit dem eigenen Versagen kultiviert.
 
== Die Rolle Gottes ==
Folgerung: Die Vorstellung einer Liste aller Primzahlen ist widersprüchlich; es gibt keine höchste Primzahl.
Bislang ist das Wort „Gott“ vermieden worden. Denn wenn dieses Wort fällt, dann ist durchaus noch nicht ausgemacht, wer oder was damit gemeint ist. Der antike My¬thos sah seine Funktion vor allem darin, zu bestätigen, zu rechtfertigen, was ohnedies geschieht. Die Bibel als Dokument einer Protestreligion ver¬weigert sich der Rechtfer¬tigung des Faktischen; sogar Moses und David, die im Rückblick als ideale Führer dar¬gestellt werden, hält man ihre Verfehlungen fast kleinkariert vor.
 
Das Buch Ijob beschäftigt sich mit dem Leiden des Gerechten. Das Buch gehört zur Gruppe der Weisheitsbücher, denn das dargestellte Problem wird vor allem in Form von Dialogen, in klugen Erörterungen zwischen Ijob und seinen Freunden dargestellt. Auch Gott selbst tritt als Gesprächspartner auf. Aber das Buch bleibt an einer be¬stimm¬ten Grenze hängen: Ijob wird zwar dem Leiden preisgegeben, aber er muss nicht sterben, sondern wird am Ende des Buches wieder in seine irdischen Güter eingesetzt. Die wirklichen Toten der Geschichte, Ijobs Söhne und Töchter (Ijob 1,19), werden einfach durch andere Söhne und Töchter ersetzt. (Ijob 42,13) Hier konnte sie Deutung Christi nicht ansetzen. Im Bild des Lammes, das vor seinem Scherer ver¬stummt, (Jes 53,7; Apg 8, 32) wird eindrucksvoll der Kontrast zwischen Jesus und der Beredsamkeit des Ijobbuches symbolisiert: Als Antwort auf das Schweigen des Gekreuzigten reichen kluge Lehren nicht mehr aus.
Kommentar: Gedankengänge wie diese beweisen die Leistungsfähigkeit der Mathematik. Die größte bislang gefundene Primzahl ist 2<sup>43112609</sup>  - 1.<ref>Im Internet gibt es eine [http://www.primzahlen.de Seite], die sich der Primzahlforschung widmet.</ref> Und doch wissen wir sicher, dass es noch größere Primzahlen gibt, und diese Gewissheit geht ins Grenzenlose.  
Zu beantworten bleibt die Wahrheitsfrage, ob der Gott, der Jesus, den unschuldig Hingerichteten, aus den Toten auferweckt hat (Colosser 2,12), wirklich existiert. Die Frage kann umgekehrt und so gestellt werden: <br>
 
'''Wäre es nicht des Allgewaltigen Amt, seines geliebten Knechtes
Die großartigste Leistung der Mathematik liegt aber darin, dass sie ihre eigene Unvollständigkeit beweisen kann, und der Entdecker dieser Tatsache, Kurt Gödel, behauptet in einer nachgelassenen Schrift, dass die Existenz Gottes den mathematisch bewiesenen Sätzen an Gewissheit nicht nachsteht.
ungerechte Bestrafung und blasphemische Opferung zu verhindern?'''<br>
 
Die Antwort kann man auf die Weise suchen, dass man sich fragt, wie Gott das hätte machen sollen; die Bibel spricht mindestens zwei Möglichkeiten an: <br>
=== Wissenschaft als Dialog mit der Natur ===
(1) Herodes freute sich sehr, als er Jesus sah; schon lange hatte er sich gewünscht, mit ihm zusammenzutreffen, denn er hatte von ihm gehört. Nun hoffte er, ein Wunder von ihm zu sehen. (Lukas 23,8) Man könnte sich leicht ein Zeichen vorstellen, das Herodes beeindruckt, den Messias aber nicht oder nur wenig kompromittiert hät¬te, wie damals in Nazaret, als ihm schon einmal die Hinrichtung drohte: Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg. (Lukas 4,16) <br>
=== Beweise nach juristischem Vorbild ===
Die Bibel erzählt von der Errettung am Schilfmeer bis hin zu den Wundern Jesu viele Geschichten von Machttaten Gottes. Aber wenn man weiter liest, dann entdeckt man, dass die Geschichten nicht gut ausgehen: Der Errettung am Schilfmeer folgt der Tanz um das goldene Kalb (Exodus 32), der Gottesprobe des Elia auf dem Karmel (1 Kö¬ni¬ge 18) folgt die Flucht des Propheten in Wüste und Todessehnsucht (1 Kg 19). Der wunderbaren Brotvermehrung folgt der Weggang der Mehrheit der Jünger Jesu (Johannes 6). Das lässt nur einen Schluss zu: Das Wirken Gottes lässt sich nicht durch Machttaten nach dem Muster mensch¬licher Groß- und Gewalt¬taten er¬weisen. Denn solche Taten machen den Men¬schen zum Objekt der Überwäl¬ti¬gung. Die Bibel scheint dergleichen zu erzählen, um zu zeigen, dass es nicht funk¬tioniert. Ganz bei sich selbst ist die Bibel in den Ge¬schichten, die Gott auf der Seite der Opfer zeigen, der den Erniedrigten eine Stimme gibt.<br> 
Vor Gericht gelten Zeugenaussagen und Indizien.
(2) Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem ge¬hen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen. Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhü¬ten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! (Mt 16,21-22) Petrus meint es gut mit Jesus, und er meint es gut mit sich selbst; denn die Jünger und die Kranken und Verlorenen brauchen Jesus, er könnte gut noch ein paar Jahre weiter the¬ra¬peu¬tisch tätig sein und die Jüngerschar führen. Warum muss er nach Jerusalem? Aber was hätte es bedeutet, wenn Jesus dem Ansinnen seines Apostels gefolgt wäre? Dass er sich in seiner irdischen Anwesenheit für unersetzlich erklärt hätte und den Jüngern nicht zutraute, alleine zu Recht zu kommen. Aber der von Jesus ausgehende Anstoß zu freiem Freundschaftsdienst auf der Basis der Wahrhaftigkeit, zu Offenheit für Schuld überwindende Therapie, zur Ver¬nei¬nung der Rechtfertigung von Opfern, muss von seinen Jüngern, also heute von uns weitergespielt werden; wir dürfen uns nicht an die Rockschöße der Allmacht klammern. Nachfolge Jesu geschah auch und geschieht – vielleicht mehr denn je. Das setzt allerdings voraus, dass Jesus nicht vergessen wird, und dazu bleibt die Kirche notwendig. Und dass man es ihren Mitgliedern nicht mehr durchgehen lässt, sich auf Jesus zu berufen, es aber mit der Liebe im Erstfall nicht allzu genau zu nehmen, ist ein hoffnungsvolles Zeichen. <br>[[Datei:getsemane.jpg]]
 
<br>
Da Indizien mehr oder weniger wissenschaftlich fundierte Beobachtungsaussagen sind, haben wir damit in der Gottesfrage ähnliche Schwierigkeiten wie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt.  
Angesichts der letzten Stunden im Leben Jesu geraten unsere Begriffe von Wahrheit, Freiheit, Liebe, Gerechtigkeit, Gott in eine Bewegung, die uns bis ans Ende unserer Tage – als einzelne und als Menschheit – nicht mehr loslassen wird. Eine Szene der Evangelien gibt hier vielleicht den stärksten Anstoß: Und Jesus nahm Petrus, Jakobus und Johannes mit sich. Da ergriff ihn Furcht und Angst, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf die Erde nieder und betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorüber gehe. Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst. Und er ging zurück und fand sie schlafend. (Markus 14,33-36) Indem betont wird, dass die Szene sich vor schlafenden Zeugen abspielt, ist sie der historischen Verifizierbarkeit von vorneherein entzogen; es geht um eine Wahrheit, die nicht das sinnlich Erfahrbare betrifft: Das Unvermeidliche ist nicht zu akzeptieren. Jesus erklärt sich nicht einverstanden. Und das aus guten Gründen, denkt man alleine an die Rachephantasien, die der Tod des Erlösers in der Geschichte noch hervorrufen sollte. Er weist die Verantwortlichkeit dem Vater zu und dadurch von den Menschen weg: Sie wissen nicht, was sie tun. (Lk 23,34) Denn nur der Vater kann wissen und wollen und verwirklichen, dass das Kreuz, der furchtbare Tod, zum Sieg des Lebens wird.<br>
 
Heute nimmt das Kreuz in vielen Wohnungen und an vielen Wegen einen zentralen Platz ein. Wenn wir „Gott“ sagen, meinen die meisten von uns ganz selbstverständlich den Gott, den der Gekreuzigte seinen „Vater“ nannte. Ein Beweis für die Wahrheit, der alle über¬zeugt, ist das nicht; aber was bedeutete eigentlich „Wahrheit“, wenn der Ursprung aller Wahrheit eine Lüge wäre? <br>
Zeugenaussagen für die Existenz Gottes gibt es genug: Amos, Jesaia, Jeremia, Paulus und viele andere Propheten haben in historisch belastbaren Quellenschriften zu Protokoll gegeben, dass sie Gott begegnet sind.
Ein Beispiel ist uns gegeben, gegen die Spirale der Zerstö¬rung aufzustehen, uns an der Gerechtigkeit und Freiheit zu orientieren, die Jesus uns vorgelebt hat. Daraus et¬was zu machen liegt an uns.
 
Aber vor Gericht muss auch geprüft werden, ob eine Zeugenaussage glaubwürdig ist. Wer aber die Glaubwürdigkeit der Propheten anzuerkennen bereit ist, der ist in der Gottesfrage schon positiv entschieden und benötigt keinen Beweis mehr.  
 
Aber vor Gericht ist auch noch ein anderer Punkt entscheidend: Die Frage der '''Beweislast'''. Das Recht arbeitet mit Vermutungen, zum Beispiel mit der Unschuldsvermutung, die denjenigen, der jemandem eine Straftat vorwirft, zum Beweis verpflichtet, während der Verteidiger des Verdächtigen die Unschuld nicht beweisen muss.
 
Wer stellt in der Gottesfrage die weitergehende - die beweispflichtige - Behauptung auf? – Zunächst scheint es der zu sein, der behauptet: „Es gibt Gott.“ Wenn man aber untersucht, was die gegenteilige Behauptung bedeutet, „es gibt keinen Gott,“ dann erkennt man, dass sie viel weiter reicht: Denn da wird ja behauptet, dass es keine übernatürlichen Ursachen geben kann, dass demnach alles nach Naturgesetzen geschieht und deshalb auch naturwissenschaftlicher Erkenntnis zugänglich ist.  
 
Wenn wir hingegen zugeben, dass es eine übernatürliche Ursache gibt, dann wissen wir zwar, dass das Verursachte einen Sinn hat, aber wir wissen auch, dass wir ihn nur auf eine einzige Weise herausfinden können, indem wir den Verursacher nach dem Sinn fragen.
 
Die Folgen sind bis in alltägliche Konflikte hinein gravierend: Wer an die Allzuständigkeit der Wissenschaft glaubt, hat eine Vorstellung, dass man alles mit Gewissheit wissen könnte. Dazu allerdings benötigt der Einzelne Fachleute. Wie beispielsweise ein Kranker, der von seinen Ärzten Diagnosen, Pillen, Operationen oder Transplantationen bekommt, deren Wirkung er nicht begreift, von denen also nur der Fachmann weiß, ob es wirklich gut ist oder nicht.  
Für einen Gottgläubigen gibt es nur eine Art der Gewissheit: „Sich auf die Zusage einer anderen Person (sei es Gott oder sei es ein Mitmensch) verlassen.“ Er wird dem Arzt nicht vor allem deshalb zuhören und seinen Ratschlägen folgen, weil er Fachmann ist. Er wird in dieser Hinsicht keine Illusionen haben, dass es in medizinischen Fragen Gewissheit gebe. Vielmehr enthält alle menschliche Bemühung ein Irrtumsrisiko, und im Arzt sieht ein Gläubiger nicht zuerst den Fachmann, sondern den Mitmenschen, dem er vertraut, dass er nach bestem Wissen und Gewissen informiert und behandelt.
 
Gläubige anerkennen also eine Welt der Gewissheit, die mit Forschung und Technik hergestellt wird und die niemals absolut ist, sondern immer nur „statistisch“, und sie Anerkennen eine Welt der Verlässlichkeit, die durch Zusagen und Vertrauen hergestellt wird und die genau in dem Maß gilt, in dem die beteiligten Personen zu ihren Zusagen stehen.
 
== Etappen der Gottesbeweisfrage ==
=== Xenophon (426-345 v. Chr.) ===
=== Aristoteles (384-322 v. Chr.) ===
[[Aristoteles]] war der Forscher unter den griechischen Philosophen. Als Beispiel kann man einen Vergleich heranziehen: Während Plato in seiner Schrift ''Der Staat'' aus der Idee der Gerechtigkeit einen idealen Staat entwickelte und in Sizilien mit der Verwirklichung seiner Ideen prompt Schiffbruch erlitt, ließ Aristoteles von seinen Mitarbeiten alle verfügbaren Staatsverfassungen sammeln und verglich sie  miteinander.
 
Die Theologie des Aristoteles ist ein Element seiner Physik. Das ist der Versuch, die bekannten Beobachtungen und die schon vorhandenen Theorieerfahrungen zu einem Gesamtbild des Kosmos zusammenzustellen. Dazu gehört die Auffassung, dass es vier Elemente gebe, denen ihr natürlicher Ort zugeordnet werden könne - Erde und Wasser gehören nach "unten" (Richtung Erdmittelpunkt); Feuer und Luft gehören nach "oben" (Richtung Himmel) -. Die Sterne hingegen bestehen aus einer fünften Materie (der Quintessenz), von der wir nichts wissen.
 
Der eigentliche Gottesbeweis<ref>Der Gedanbkengang ist in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Aristoteles#Theologie Wikipedia] gut zusammengefasst.</ref> im achten Buch der Physik und im zwölften Buch der Metaphysik geht aus von einer Analyse der "Bewegung" ("Kinesis" - Hans Wagner übersetzt "Prozess"). Aristoteles versteht darunter die Verwirklichung eines Zustandes, der zuvor nur möglich war. Wenn er dann zeigt, dass es unmöglich nur Bewegliches geben kann, sondern auch etwas, das bewegt, ohne sich selbst zu bewegen, einen unbewegten Beweger, dann hat Aristoteles die Fixsternsphäre im Blick, deren vollkommene Kreisbewegung ihn auf eine Ursache schließen lässt, die dadurch bewegt, dass sie geliebt wird.
 
Thomas von Aquino hat sich mit diesem Beweis in seinem Kommentar zur Physik des Aristoteles sehr gründlich beschäftigt;<ref>Das ''Corpus Thomisticum'' ist in lateinischer Sprache im Internet veröffentlicht, hier der [http://www.corpusthomisticum.org/cpy07.html Kommentar zur Physik des Aristoteles, Bücher 7 und 8]</ref> leider wird meist nur die knappe Zusammenfassung in der ''Summa Theologiae'' berücksichtigt. Damit spart man sich aber nur scheinbar Lesezeit, denn um die vorausliegenden Definitionen und Folgerungen des Argumentes kennen zu lernen, sind ausgedehnte Studien der gesamten Summa nötig.
 
Die aristotelische Kosmologie war für 1800 Jahre maßgeblich. Das christliche Mittelalter arbeitete an dem Problem, die Beweise des Aristoteles mit den Dogmen der Kirche in Einklang zu bringen. Zum Beispiel ließ sich die Annahme, der Kosmos sei im großen und ganzen unveränderlich und ewig, nicht mit dem Dogma der Schöpfung der Welt durch Gott vereinbaren. Deshalb überwand die mttelalterliche Theologie und Philosophie schrittweise die aristotelische Kosmologie, etwa, als [http://www.bbkl.de/j/Johannes_bur.shtml Johannes Buridanus] (1300-1358) den aristotelischen Bewegungsbegriff durch das Trägheitsprinzip in Frage stellte oder als [http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Kopernikus Nikolaus Kopernikus] (1473-1543) anstelle der Erde die Sonne im Mittelpunkt des Universums sah und [http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Kepler Johannes Kepler] (1571-1630) entdeckte, dass sich die Sterne nicht auf Kreisbahnen, sondern auf Ellipsen bewegen. Schließlich löste [http://de.wikipedia.org/wiki/Isaac_Newton Isaac Newton] (1642-1727) die aristotelische Physik durch die klassische Mechanik ab.
 
Mit der Ablösung der aristotelischen Kosmologie und Physik durch die newtonsche ist dem Bewegungsbeweis mindestens das anschauliche Demonstrationsobjekt abhanden gekommen. Die Frage nach einem weltbldunabhängigen Element der aristotelischen Theologie wird, wie nicht anders zu erwarten, heftig und kontrovers diskutiert. Der folgende Gedankengang ist ein Vorschlag. Aber selbstverständlich könnte man es auch ganz anders machen:
 
{{Kasten_blass|Gegeben ist ein Prozess, eine Bewegung, ein Sachverhalt. Dieser trägt seine Ursache entweder in sich selbst, sodass dieser Sachverhalt in jeder denkbaren Welt unvermeidlich ist, oder er braucht eine äußere Ursache, sodass wir ihn nicht in jeder denkbaren Welt immer, sondern nur unter bestimmten Bedingungen (hervorgerufen durch die geeigneten Ursachen) antreffen, oder es lassen sich für ihn in keiner denkbaren Welt die notwendigen Ursachen auftreiben, sodass wir ihn in keiner möglichen Welt überhaupt je antreffen.
 
Wir wollen Sachverhalte, die man gelegentlich antreffen kann, "kontingent" nennen und ihnen eine Wahrscheinlichkeit größer als „0“ und kleiner als „1“ zuordnen, die in jeder denkbaren Welt unvermeidlich anzutreffenden Sachverhalte nennen wir "notwendig" und ordnen eine „1“ zu, und den "unmöglichen" Sachverhalten, die in keiner denkbaren Welt vorkommen, eine „0“.  
Wer nach Gott fragt, sollte ihn als etwas Notwendiges begreifen, dessen Wahrscheinlichkeit 1 ist, der also zu jeder denkbaren Welt als notwendiger Ursprung dazugehört.  
Wenn es so etwas nicht gäbe, dann würde jeder Sachverhalt durch eine unendliche Kette von Ursachen hervorgebracht, da jede Ursache, deren Wahrscheinlichkeit von 1 verschieden ist, ihre Existenz nicht sich selbst, sondern außerhalb von ihr liegenden Bedingungen verdankt, also eine Ursache braucht, die wieder eine Ursache braucht, und so weiter ohne Anfang der Kette.
 
Eine solche unendliche Kette kontingenter Ursachen ist aber nicht denkbar. Denn die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens mehrerer kontingenter Sachverhalte ist das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten. Ein Produkt aus vielen Zahlen kleiner als 1 unterschreitet aber früher oder später jeden noch so kleinen Unterschied von „0“; also ist das Zusammentreffen unendlich vieler Ursachen in einem beliebigen Sachverhalt unmöglich – im Widerspruch zur Erfahrung, denn wir sind von Sachverhalten umgeben.
Es kann also für jeden Sachverhalt nur eine endliche Kette kontingenter Ursachen geben, insgesamt verursacht durch eine notwendige, über alle Bedingtheit erhabene, nicht wegzudenkende Ursache, die wir „Gott“ nennen dürfen.|}}
 
=== Anselm von Canterbury (1033-1109) ===
Der Prior und Abt {{wpd|Anselm von Canterbury}} hat als Lehrer seiner Brüder ein Programm formuliert: ''Fides Quaerens Intellectum'': Glaube, der Verstehen erstrebt. Was das bedeutet, erkennt man, wenn es mit dem Verstehen nicht klappt, wie Anselm dem Roscelin vorwirft:
 
{{Zitat|Wer - etwas aus der Glaubenslehre - versteht, der danke Gott. Wer es aber nicht versteht, der neige sein Haupt zum Verehren, und setze sich nicht Hörner auf, um zu verstoßen <ref>Brief an Roscelin über die Dreifaltigkeit</ref>|}}
 
Das [http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost11/Anselmus/ans_prot.html Proslogion] ist ein Gebet, wie der Name es sagt, eine Ansprache an Gott. Das Büchlein ist konzentriertester Ausdruck des Anselmschen Programms. Das erste Kapitel ist ein Gebetstext, der es die herrliche Bestimmung und den furchtbaren Sündenfall des Menschen beschreibt, als 2. Kapitel folgt der Gedankengang, der als ''ontologisches Argument'' Geschichte gemacht hat:
 
{{Zitat|Von dir (Gott) glauben wir, dass du das bist, über das hinaus etwas Größeres nicht gedacht werden kann (aliquid quo maius cogitari non postest). Existiert nun das nicht, über das Größeres nicht gedacht werden kann, nur weil der Tor sagt: Es ist kein Gott (Psalm 10,4)?
 
Aber wenn ich doch sage „Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann,“ so versteht er doch, was ich sage, und was er versteht, ist in seinem Verstand.
 
Ist es aber nur in seinem Verstand oder auch in der Wirklichkeit?
 
Wenn es nur in seinem Verstand ist, so könnte man sich doch wenigstens denken, dass es auch wirklich existiert, und das ist größer.
 
Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, wenn es nur im Verstand ist, wäre also etwas, über das hinaus Größeres gedacht werden kann, (nämlich dass es auch wirklich existiert), und das kann nicht sein.
 
Es muss also etwas existieren, über das hinaus größeres nicht gedacht werden kann, sowohl im Verstand als auch in der Wirklichkeit.|Anselm Proslogion c.2}}
 
Kommentar:  
# Dieser kurze und einfache Gedankengang ist der meist diskutierte „Gottesbeweis“ überhaupt. Auf welch schmalem Grad sich der Gedankengang bewegt, zeigt sich im Grunde erst im 15. Kapitel des Proslogion, in welchem Anselm beweist, dass „etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“ größer ist als alles, was gedacht werden kann. Der fiktive Gesprächspartner  könnte jetzt sein allererstes Zugeständnis noch einmal zur Diskussion stellen: Das war doch etwas naiv, dass ich dir zugegeben habe, ich hätte verstanden, was du sagtest: „Etwas über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.“ Jetzt beweist du mir aber, dass ich dieses etwas gar nicht denken kann, weil es größer ist als alles, was ich denken kann. Wie kann ich etwas „verstehen“, was ich nicht „denken“ kann? – Ich nehme also mein Zugeständnis, ich hätte verstanden, was du sagtest, zurück.
# In diesem Zusammenhang ist der Anfang des Gedankenganges sehr wichtig: Von dir, Gott, glauben wir, dass du etwas bist, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Gott ist also nicht etwas, was wir uns ausgedacht haben oder ausdenken könnten, sondern wir sind auf diesen Gedanken nur gekommen, weil er sich uns durch Schöpfung und Offenbarung mitgeteilt hat und wir darauf mit unserem Glauben geantwortet haben. Dann heißt der Beweis in einem Satz zusammengefasst: '''Das gläubige Verstehen Gottes sprengt jedes denkbare System des Denkens.'''
# Religiös sein, das bedeutet unter Umständen lebenslang auf Sexualität zu verzichten und für seine Überzeugungen mit seinem Leben einzustehen. Es ist deshalb eine ziemlich merkwürdige Erwartung, dass sich ein Mensch auf eine Religion einlässt, weil er einen intelligenten Gedankengang hört oder liest. Auf der anderen Seite wäre es merkwürdig, wenn im Glauben erfasst wird, was wirklich ist, dieser Glaube aber zugleich allem, was wir logisch finden, komplett widerspräche. Diese „Lücke“ schließt das Unum Argumentum, indem es jeden verunsichert, der sich in abgeschlossenen Systemen unter einem leeren Himmel gemütlich einrichten möchte. Dadurch gibt es dem Kraft, der sich auf den Glauben einlässt; aber Glauben bleibt in jeder Hinsicht „gewagt“– als Herausforderung an das Denken und an das Handeln gleichermaßen.
 
=== Johannes Duns Scotus (1275-1309) ===
Der wichtigste Beitrag des christlichen Mittelalters zur Gottesbeweisfrage ist die Abhandlung über das erste Prinzip<ref>Johannes Duns Scotus, Abhandlung über das erste Prinzip, Hrsg, übersetzt und kommentiert von Wolfgang Kluxen, Darmstadt 1974</ref> des [http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Duns_Scotus Johannes Duns Scotus]. Das Werk aus der letzten Lebensphase des Franziskaners, das einen geschlossenen Gedankengang umfasst, besteht aus vier Kapiteln; das erste benennt den Ausgangspunkt des Gedankengangs, die sachlich begründete Ordnung (ordo essentialis) und unterwirft diesen Grundbegriff vier Aufteilungen: Die erste unterscheidet die Ordnung des Vorrangs von der Ordnung der Abhängigkeit; die zweite und dritte Einteilung unterscheiden zwischen dem näher und entfernter Verursachen; die vierte Einteilung unterscheidet in traditioneller Weise Wirk-, Ziel-, Form- und Stoffursache und das entsprechend Verursachte. In den verbleibenden drei Kapiteln werden 46 Sätze (Conclusiones) in zum Teil sehr umfangreichen und komplexen Argumentationen nachgewiesen.
 
Entscheidende Wendepunkte der Argumentation sind: Satz 9 aus Kapitel 2: ''Die vier Gattungen von Ursachen sind beim Verursachen desselben wesentlich geordnet.'' Dabei werden Wirk- und Zielursächlchkeit höher eingeordnet als Stoff- und Formursache, sodass bei der Suche nach dem ersten Prinzip nur noch die Wirk- und Zielursächlichkeit berücksichtigt werden muss. Die Zuordnung des Vorranges leistet Satz 16: ''Jedes Zielbestimmte ist ein Übertroffenes.'' Wenn aber alle Gattungen der Ordnung in einer Ordnung zusammenhängen, dann lässt sich nachweisen, was in Satz 15 des dritten Kapitels ausgesprochen wird:
{{Zitat|Einer einzigen und selben, aktuell existierenden Natur wohnt die dreifache Erstheit in der genannten dreifachen wesentlichen Ordnung inne, nämlich der Ordnung der Wirkursächlichkeit, des Zieles und des Vorranges.|}}
Auf dem Höhepunkt des Gedankengangs geht Scotus in das Gebet über:
{{Zitat|Könntest Du meinem kleinen Verstand den Schluss ermöglichen, dass Du unendlich bist und unbegreifbar von einem Endlichen?|}}
In die sehr umfangreiche Argumentation für diesen Satz bezieht Scotus nun auch das Argument des Anselm (fünfter Weg) und den Bewegungsbeweis des Aristoteles (siebter Weg) in überarbeiteter Form ein, sodass seine Abhandlung eine Gesamtdarstellung der zu diesem Thema vorgebrachten Argumentationsstrategien ist.
 
=== Immanuel Kant (1724-1804) ===
Um gleich eingangs mit zwei Vorurteilen aufzuräumen:<ol>
<li> Immanuel Kant<ref>Ein Teil der Schriften Kants ist im [http://gutenberg.spiegel.de/?id=19&autorid=310 Projekt Gutenberg] veröffentlicht.</ref> war zeitlebens fest davon überzeugt, dass Gott existiert. Vom Anfang bis zum Ende seines Schaffens gibt er dieser Überzeugung Ausdruck.
<li> Es ist keineswegs so, dass Kant die Gotteslehre ausschließlich in der Ethik beheimatet sieht. In der ''Kritik der reinen Vernunft'' werden zwar im Abschnitt über das ''transzendentale Ideal'' der Vernunft traditionelle Gottesbeweise kritisiert, aber im Rahmen der Dialektik, in welchem insgesamt die Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit des theoretischen Erkennens Thema ist. </ol>
Die Bedeutung der kantischen Vernunftkritik für die Gottesfrage wird am klarsten in der ''Kritik der Urteilskraft'' dargestellt. Der Gedankengang sei knapp referiert:<ref>Das Referat stützt sich auf die §§75-85 der Kritik der Urteilskraft. Das Buch ist im Projekt Gutenberg erschienen und somit im Internet [http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1370&kapitel=1#gb_found verfügbar].</ref>
 
{{Kasten_blass|Kant geht aus von der Unterscheidung zwischen bestimmenden und reflektierenden Urteilen. Wir können bestimmen – also auch vor- und zurückberechnen -, wie die Dinge sich verhalten, wenn wir ihren '''Mechanismus''' verstanden haben. Ein Mechanismus lässt sich in mathematischen Gleichungen ausdrücken, man kann ihn zeichnen und wenn man die passenden Materialien zur Hand hat, auch nachbauen. Die mathematische Beschreibung der Himmelsmechanik war der viel bewunderte Erfolg der Epoche Kants, doch bei allem Scharfsinn war es Isaac Newton (1643-1727) nicht gelungen, die Stabilität eines Systems aus mehr als zwei Himmelskörpern nachzuweisen. Deshalb glaubte er, dass Gott persönlich für die Feinjustierung der Umlaufbahnen der Sterne sorgen müsse. Kants Zeitgenosse Pierre Simon de Laplace (1749-1827) erfand neue Näherungsverfahren in den mechanischen Berechnungen und konnte vermeintlich das Mehrkörperproblem beherrschen: ''Wo bleibt denn Gott in ihrer Theorie'', fragte ihn Kaiser Napoleon. ''Diese Hypothese habe ich nicht nötig'', antwortete der Physiker dem erstaunten Herrscher. Erst zweihundert Jahre später stellt sich nun heraus, dass Laplace sich die Sache etwas zu einfach gemacht hatte und in seinen Berechnungen Terme unberücksichtigt ließ, die sich im Laufe langer Zeiträume aufsummieren und für Instabilität im Sonnensystem sorgen. Die Sterne bewegen sich nicht von Ewigkeit zu Ewigkeit auf denselben Bahnen, sondern verändern diese nur sehr, sehr langsam.
 
Die bestimmende Urteilskraft gibt keine vollständige Erkenntnis über alles und jedes. Zum Beispiel ist die bewegende Kraft – im Sonnensystem die Schwerkraft – etwas, das nicht mechanisch gedeutet werden kann. Newton hatte sie für eine direkte göttliche Wirkung gehalten. Auch was die Materie ist und wie die Unterschiede zu Stande kommen zwischen den verschiedenen Chemikalien, zwischen anorganischen und organischen Stoffen, lässt sich durch bestimmende Urteilskraft nicht klären. Wer denkt, das habe sich durch die Fortschritte der physikalischen Chemie seit Kant geändert, übersieht, dass man die Objekte der Quantenmechanik nicht konstruieren kann, diese also nicht im kantischen, sondern nur in einem übertragenen Sinn „mechanisch“ sind. Die Interpretation der Quantenphysik spielt aber für die Interpretation Kants keine Rolle.
 
Im Ergebnis müssen wir entweder darauf verzichten, über Dinge zu reden, deren Mechanismus wir nicht verstanden haben, die vielleicht gar keine Mechanismen sind, oder wir müssen ein anderes Urteilsvermögen nutzen: Während die bestimmende Urteilskraft Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge darstellt, untersucht die '''reflektierende Urteilskraft''' Kausalität nach Begriffen. Dass es so etwas gibt, wissen wir aus unserer eigenen Erfahrung: Gleich werde ich frühstücken, und mir ist es dabei wurschtegal, wie es mein Gehirn anstellt einen solchen Vorsatz zu fassen, welche Mechanismen ich in Bewegung setze, um in die Küche zu kommen und alles zu richten; mir geht es nur darum, dass ich mir ein gut belegtes Brötchen einverleiben und eine heiße Tasse Tee dazu trinken kann. Den Begriff „Frühstücken“ verstehe ich durch meine reflektierende Urteilskraft, ohne irgendwelche Mechanismen konstruieren zu können, und wenn ich den Amseln in meinem Garten zusehe, die Raupen aus der Wiese picken, dann glaube ich durch meine reflektierende Urteilskraft in etwa verstehen zu können, was die Vögel da machen, und dass man es mit meinem Frühstück gut vergleichen kann.
 
Eine Untersuchung meiner Umwelt durch die reflektierende Urteilskraft wird also darauf hinauslaufen, Erscheinungen in der Natur als '''Analogie''' meiner zweckbestimmten Handlungsweise zu erkennen. Darauf beruht die kantische Definition eines Lebewesens, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass in ihm alles Mittel und wechselseitig auch Zweck ist. Kant nimmt durchaus den Gedanken Darwins vorweg, dass alle Lebewesen miteinander natürlicherweise verwandt seien, und er diskutiert sogar, ob nicht die Erde in einem der Kristallisation ähnlichen Vorgang urtümliches Leben spontan hervorgebracht haben könnte. Das ändert aber nichts am Grundsatz: Wir können die Verstehensleistung, die wir durch die reflektierende Urteilskraft erreichen, nicht auf Mechanismen reduzieren, also bleibt die Zweckmäßigkeitsbetrachtung zulässig und notwendig, um das Leben und die Natur insgesamt, in der Leben vorkommt, zu verstehen.
 
Nachdem er dieses Ergebnis erreicht hat, denkt Kant darüber nach, ob es zulässig ist, aus der Betrachtung der reflektierenden Urteilskraft ein System zu machen, so etwas wie eine Hierarchie der Zwecke zu ermitteln mit einem Endzweck von allem als Ordnung stiftendem Zentrum. Ja, sagt Kant, das ist nicht nur zulässig, sondern es ist sogar unvermeidlich, denn der Ausgangspunkt aller analogen Anwendungen unserer Begriffe im Tier- und Pflanzenreich, ja in der Natur insgesamt, ist unsere Erfahrung Dinge zu begreifen und etwas zu wol¬len. In uns ist die Kausalität nach Begriffen eine Kausalität durch Freiheit, und wenn irgendetwas, dann kann nur das Endzweck der ganzen Welt sein. Ist aber Kausalität durch Freiheit in der Welt möglich, dann muss man auch die Möglichkeit zugestehen, dass die Welt insgesamt durch Kausalität aus Freiheit hervorgebracht worden ist, und das ist eine Möglich¬keit, die ihre Wirklichkeit einschließt. Wenn es sich aber um Frei¬heit handelt, der wir die Exis¬tenz der Welt und unsere eigene Existenz verdanken, dann ver¬bietet es sich der Weltursache vorschreiben zu wollen, wie sie zu sein und sich zu benehmen habe. Deshalb kommt Kant zu dem Schluss:|}}
 
{{Zitat|Die teleologische Naturbetrachtung treibt uns zwar an, eine Theologie zu suchen, kann aber selbst keine hervorbringen.|}}
 
Damit ist eigentlich auch die Falsifikationsbedingung der Gottesüberzeugung ausgesprochen:
 
{{Kasten_blass|Löst die menschliche Freiheit in einen Mechanismus auf, dann werden wir euch zugeben, dass Freiheit unmöglich und Gott nicht existent ist!|}}
 
=== Kurt Gödel (1906-1978) ===
[http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_G%C3%B6del Kurt Gödel] formulierte 1931 den Beweis, auf den nun wirklich niemand gewartet hatte:
{{Kasten_blass|Es gibt unentscheidbare Sätze in allen Axiomensystemen, die reichhaltig genug sind, die natürlichen Zahlen einzuschließen, und deshalb kann auch die Widerspruchsfreiheit solcher Axionmensysteme nicht aus dem System heraus bewiesen werden. Auf den Punkt gebracht: Die Wahrheit reicht - selbst in formalisierten Systemen - weiter als die Beweisbarkeit.|}}
Kurt Gödel hielt die [http://de.wikipedia.org/wiki/Goldbachsche_Vermutung Goldbachsche Vermutung] für das Beispiel eines zwar wahren, aber nicht beweisbaren Satzes der Zahlentheorie. Diese Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl als Summe zweier Primzahlen ausgedrückt werden kann: 4=2+2; 6=3+3; 8=3+5; 10=5+5=3+7; usw. In der Tat ist die Goldbachsche Vermutung bis heute nicht bewiesen worden, aber bis 10<sup>18</sup> ist auch noch keine Ausnahme gefunden worden, ja, es zeigt sich, dass größere Zahlen sich wahrscheinlich durch mehr Summen aus verschiedenen Primzahlpaaren darstellen lassen als kleinere. Es gibt also vernünftige Gründe, an die Wahrheit der Goldbachschen Vermutung zu "glauben", auch wenn ein strenger Beweis nicht vorliegt.
 
Im Nachlass Gödels fand sich, in der Formalsprache der Mathematik geschrieben, ein Gottesbeweis in verschiedenen Varianten, dessen Ausgangspunkt der Begriff "positive Eigenschaft" ist,<ref>Meine Darstellung stützt sich auf die [http://www.example.com Link-Text Analyse] des Beweises von Andreas Kirchner.</ref> und den ich hier in natürlicher Sprache referiere:
{{Kasten_blass|Jede Eigenschaft ist entweder positiv oder negativ. "Wahrheit" ist zum Beispiel eine positive Eigenschaft, "Lügenhaftigkeit" aber eine negative. Denn man kann sich eine Gruppe vorstellen, in der alle allen ausschließlich die Wahrheit sagen; aber wenn sich alle immer belügen, brauchen sie gar nicht miteinander zu reden, weil ja die Lüge nur effektiv ist, wenn der Empfänger einer Botschaft Wahrhaftigkeit unterstellt.
 
Was eine positive Eigenschaft notwendig enthält, ist selbst eine positive Eigenschaft.
 
Göttlichkeit wird nun einem Wesen zugesprochen, das alle positiven Eigenschaften enthält. Daraus folgt, dass Göttlichkeit eine positive Eigenschaft ist.
 
Notwendig ist etwas, dessen Gegenteil widersprüchlich ist. So sind positive Eigenschaften mit Notwendigkeit positiv, also ist Notwendigkeit in der Positivität einer Eigenschaft enthalten und somit selbst eine positive Eigenschaft. Da Göttlichkeit alle positiven Eigenschaften umfasst, so auch die der Notwendigkeit.
 
Daraus folgt: Wenn die Existenz eines göttlichen Wesens widerspruchsfrei möglich ist, dann ist sie auch notwendig, dann ist also die Nichtexistenz eines göttlichen Wesens widersprüchlich. Sollten mehrere göttliche Wesen existieren, dann sind sie, da ununterscheidbar, notwendig miteinander identisch.|}}
 
== Gottesbeweis und Theologie ==
 
== Anmerkungen ==
<references/>
 
 
 
[[Kategorie:Religion]]
[[Kategorie:Christentum]]
[[Kategorie:Katholische Religion]]
[[Kategorie:ZUM-Wiki-Buch Katholische Religionslehre]]

Version vom 14. Dezember 2009, 20:43 Uhr

Dieser Artikel, ein Bestandteil des ZUM-Wiki-Books Katholische Religionslehre, behandelt das Kreuz als theologisches Thema, das für den Oberstufenunterricht in Katholischer Religion geeignet ist.[1] Vorlage:ZBK

Die Fragen

Jesus von Nazaret ist der Held der Evangelien und die Erlöserfigur des Christentums. Seine Lebensgeschichten, die Evangelien, sind so zusammengestellt, dass sie von Anfang an auf den Kreuzestod Jesu hinauslaufen. [Matthäus 2,11.16-18; Lukas 2,34-35] Zwei zentrale christliche Glaubenstatsachen gehören also unmittelbar zusammen: „Jesus, unser Messias, ist am Kreuz gestorben“, und „Jesus hat uns erlöst“. Diese Sätze zwingen uns als vernunftbegabte Menschen, Fragen zu stellen; es sind vor allem folgende:

  • Warum musste Jesus am Kreuz sterben?
  • Hatte Gott, der Allmächtige, keine gewaltfreie Möglichkeit uns zu erlösen?
  • Welche Deutung ist dem Kreuzestod Jesu angemessen – „Opfer“ oder „Strafe“?

Das Faktum

7. April 30: Jesus wird als Opfer eines Justizmordes durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus am Kreuz hingerichtet.
Die Verurteilung durch einen Römer ist gewiss, denn Juden hätten ihn nicht gekreuzigt, sondern gesteinigt. Das Verbrechen, das man ihm zur Last legte, Umsturz und Aufruhr, hat Jesus nicht begangen. Der Prokurator Pontius Pilatus wusste das, denn sonst hätte er nicht Jesus umgebracht und seine Leute laufen lassen.
Pilatusstein.jpg
Die Römer sind nicht auf eigene Initiative tätig geworden, sondern jüdische Behörden klagten Jesus bei ihnen an. Die Evangelien berichten, dass alle beteiligten Autoritäten (der Hohe Rat der Juden, der römische Prokurator Pilatus, König Herodes) zögern, das Todesurteil gegen Jesus zu verhängen. Unter Druck willigt Pilatus in die Kreuzigung ein. (Markus 15,11-13)
Dies ist historisch plausibel: Die Beteiligten haben Angst vor Intrigen, Übergriffen und spontanen Gewaltausbrüchen. Pilatus wird sechs Jahre nach der Kreuzigung Jesu sein Amt aufgrund von Denunziationen verlieren; und dreißig Jahre später werden Aufstände ausbrechen, die den Untergang der Reichsprovinz Iudaia heraufbeschwören. Das begründet die Nervosität der Verantwortlichen.
Jesus, dem der Ruf eines Wunderheilers und Propheten vorauseilt, wollte kein politischer Führer sein will. Doch trotzdem könnte alleine die Anwesenheit eines Propheten in der überfüllten Wallfahrtsstadt Jerusalem Unruhen auslösen; darum muss er verschwinden. Zugleich ist zu befürchten, dass sich der Hass der von Jesus begeisterten Menschen an dem abreagieren wird, der ihn tötet. Aus diesem Dilemma suchen alle Beteiligten ihren Ausweg.

Der Hintergrund: Strafe und Opfer

Das Böse zerstört; es tut dem Leben Gewalt an. Wenn das Böse sich als Gewalttat eines einzelnen Schuldigen zeigt, fällt es auf, ist es nicht zu übersehen. Die Schuld ist aber auch Symptom eines Prozesses, der langfristig auf die Störung und Zerstörung des Lebens gerichtet ist, weil wir uns gegenseitig nachahmen. Wir teilen aggressive Emotionen, nehmen teil an der Steigerung des Hasses, der Verachtung, und wir sind beteiligt an Handlungen, die das Leben entwürdigen, für wertlos erklären und dann auch physisch vernichten, wir sind Teil der Eskalation, die uns über den Kopf wächst.
Wir Menschen würden die zerstörerischen Prozesse gerne stoppen, die stärker geworden sind als wir selbst. Dazu fallen uns zunächst mal zwei Möglichkeiten ein: Strafen und Opfern.
Die Strafe versucht den zu vernichten oder wenigstens aus der Gemeinschaft auszu¬schließen, der Gewalttaten begangen hat und dem man eine Ursächlichkeit für Prozesse der Vernichtung zurechnet.
Das Opfer besteht in der Vernichtung hochwertiger Wirtschaftsgüter zu Ehren der Transzendenz. Es bringt unmittelbar Macht, Reichtum, Verfügungsgewalt zum Ausdruck und stabilisiert einen status quo. Darum sind Opfer in der Religionsgeschichte so prominent. Offenbar beseitigen sie nicht die sichtbaren Gewaltursachen, die Schuldigen. Es geht viel mehr um Manipulation von Ursachen irdischer Vernichtungsprozesse, denen sich die Menschen unterlegen fühlen und die sie deshalb als übernatürlich erleben: Man möchte die beteiligten Götter und Geister umstimmen. Ein Tier und vor allem einen Menschen zu opfern bedeutet nicht an dessen Schuld zu glauben, im Gegenteil, es werden oft Opfergaben ausgesucht, die in besonderer Weise Unschuld symbolisieren – ein fehlerfreies Lamm (Exodus 12,5) -, aber es ist in Ordnung vor den Göttern, es muss sein.

Frühe Deutungsmuster:

Der stellvertretend Gestrafte

Wofür ist Jesus bestraft worden? – Als er starb, stand, so sagt es die Bibel, über seinem Kopf eine Inschrift in aramäischer, griechischer und lateinischer Sprache. Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – abgekürzt „INRI“ –, so wird die Inschrift auf unseren Kreuzesdarstellungen wiedergegeben. In der Kirche Santa Croce di Jerusaleme wird eine Schrift gezeigt, die nur eine aramäische Fassung zeigt, bestehend aus den Buchstaben "J SCH U N Z R M M". Das liest sich so: Jeschu Nazara Melekem; übersetzt: Jesus Nazarener euer König.
Nach dem Bericht der Evangelien weigert sich Pilatus, die Inschrift dahingehend zu verändern, dass Jesus Anmaßung vorgeworfen wird – Schreib, er habe gesagt, er sei König. – (Johannes 19,21-22). Pilatus lässt Jesus als Repräsentanten eines Volkes kreuzigen, das in seinen Augen für Auflehnung und Widerstand steht. In dem, was die Evangelien aus den Prozessen vor dem Hohen Rat und vor dem Statthalter berichten, kommt mit keinem Wort zur Sprache, was man Jesus als Übergriff am ehesten hätte vorwerfen können: Sein provozierender Einzug in Jerusalem, seine Angriffe auf die religiösen Autoritäten oder die Tempelreinigung. Alle Verhandlungen kreisen darum, ob Jesus „König“, „Messias“ oder gar „Sohn Gottes“ zu sein beansprucht habe. Es ist also in keiner Weise die Gewaltbereitschaft Jesu, die ihn ans Kreuz bringt, sondern ausschließlich die Gewaltbereitschaft derer, die einen solchen gewaltverneinenden König nicht akzeptieren können. Die bestürzende und verstörende vollständige Weigerung Jesu sich zu verteidigen, auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten wird im Rückgriff auf ein Wort des Propheten Jesaia ausgedrückt: Wie ein Lamm verstummt, wenn man es schert, so tat er seinen Mund nicht auf. (Apostelgeschichte 8,32; vgl. Jesaia 53,7)

Das Sündopfer

Nachdem Amos und Hosea die Religion der Könige Israels hart angegriffen hatten und die Geschichte Israels, Exil und Rückkehr, der alternativen Religion der Propheten zum Durchbruch verholfen hatte, blieb im Frühjudentum bis zur Zerstörung des Tem¬pels das Tieropfer doch in Ge¬brauch, auch in der Gestalt des Sündopfers, das der Entschuldung dient: Aaron darf nur so in das Heiligtum kommen: mit einem Jungstier und einem Widder für ein Sündopfer und Brandopfer. (Levitikus 16,3)
Der Versöhnungstag vollzog rituell die Übertragung aller Sünden des Volkes auf einen Ziegenbock, der anschließend zu Azazel, also in die Wüste geschickt wird: Die politisch Verantwortlichen hätten gerne Jesus dem Volk als Sündopfer präsentiert. Dann wäre es irgendwie in Ordnung gewesen ihn hinzurichten. Der Hohe Priester Kaiaphas sagt, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht. (Johannes 11,50). Jesus ist nicht wirk¬lich die Ursache des Aufruhrs. Aber er ist anders als die anderen, von ihm geht eine Macht aus, die – auch wenn sie heilend in Erscheinung tritt - Ruhe und Ordnung stört.
Als Jesus stirbt, scheint der Sündopfermechanismus tatsächlich zu funktionieren: An diesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; vorher waren sie Feinde gewesen. (Lukas 23,12). Die Hohenpriester antworten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser. (Johannes 19,15) Noch am Abend wird die Hinrichtungsstätte aufgeräumt:
Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag. (Joh 19, 31) Rechtzeitig zum Fest bricht die große Einigkeit aus. Sogar Jesus bekommt ein vornehmes Grab; darüber versöhnen sich die, die einander zuvor spinnefeind gewesen waren.

Das Kreuz als Wendepunkt der Geschichte menschlicher Gewalt

Zu Pfingsten – 50 Tage nach der Folter und Hinrichtung Jesu - zerbricht eine kleine Schar von Jesusgetreuen den faulen Frieden:
Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst - ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. (Apostelgeschichte 2,22-23)
Jetzt steht alles in einem anderen Licht: Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? Die Antwort des Petrus:
Lasst euch retten aus dieser verdorbenen Generation! (Apg 2, 37.40)
Solange im Umgang mit der Gewalt nur zwei Varianten der Gegengewalt ins Auge gefasst werden, Strafe und Opfer, muss man Folgendes in Kauf nehmen:

  • Zerstörung des Lebens um der Zerstörung willen (böse Gewalt) und Zerstörung des Lebens mit der Absicht der Zerstörung des Zerstörungsprozesses (gute Gewalt: Opfer oder Strafe) sehen einander zum Verwechseln ähnlich, und das gilt auch von allen begleitenden Emotionen und Kommunikationen. Gewalttäter können sich immer damit rechtfertigen nur Gegengewalt auszuüben, so stellen sie sich als Wohltäter dar, und sie finden damit gewöhnlich Anklang bei Gleichgesinnten.
  • Wenn im realen Leben gute und böse Gewalt so schwer zu unterscheiden sind, gibt es eine hohe psychologische Prämie darauf sich überhaupt rauszuhalten aus allem, sich fernzuhalten von Gewalt und Gegengewalt, allenfalls aus der Ferne zuzusehen.[2]
  • Es gibt keinerlei Impuls eigene Schuld einzugestehen. Denn das würde ja nur zur Folge haben, die Vernichtung des eigenen Lebens zu rechtfertigen.
    Beide Strategien der Gegengewalt richten sich also vor allem gegen eine Ressource, der mehr als den anderen die Überwindung der zerstörerischen Prozesse wirklich zugetraut werden kann: Die klare Einsicht in den eigenen Anteil an Schuld und die geduldige Überwindung der Emotionen und Kommunikationen, die alle Menschen an Prozessen der Lebenszerstörung teilnehmen lassen. Und den Durchbruch zu dieser Ressource eröffnet uns Jesus bereits vor seinem grausamen Tod auf drei Weisen:

    Jesus wusste, was im Menschen ist. (Johannes 2,25)

    Er hat die Mechanismen der Verschleierung und Verdrängung insbesondere in seinen Gleichnissen exakt angesprochen: Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und dabei steckt in deinem Auge ein Balken? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du ver¬suchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. (Mt 7,4-5) Natürlich durchkreuzt der Vergleich die Rationalität des Verhaltens, Schuld bei den an¬deren zu suchen; denn der belustigte Zuhörer Jesu fragt unweigerlich, ob ein Bal¬ken im Auge nicht stört und man ihn deshalb so schnell wie möglich los werden will.

    Jesus als Arzt

    Jesu irdisches Wirken lässt sich mehr als durch irgendeine andere Metapher als das eines Arztes verstehen nach dem programmatischen Wort: Nicht die Gesunden brau¬chen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. (Markus 2,17) Es sind zwei Stellen aus dem Alten Testament, auf die Jesus zurückgreifen kann: Wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst und tust, was in seinen Augen gut ist, wenn du seinen Geboten gehorchst und auf alle seine Gesetze achtest, werde ich dir keine der Krankheiten schicken, die ich den Ägyptern geschickt habe. Denn ich bin der Herr, dein Arzt. (Exodus 15,26) und für den Zusammenhang zwischen Schuld und Therapie: Wer gegen seinen Schöpfer sündigt, muss die Hilfe des Arztes in Anspruch nehmen. (Sirach 38,15) Jesu therapeutische Leistung richtet sich also nicht nur und nicht zentral gegen körperliche Gebrechen, sondern gegen die Schuld. Jesu Selbstbeschreibung als Arzt steht in direktem Zusammenhang mit seinem Tod. Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen, verhöhnen ihn die Schriftgelehrten, als er am Kreuz hängt. (Mk 15,31) Und damit bestä¬tigen sie Jesu eigene Voraussage: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! (Lk 4,23) Aber Jesus braucht keine Heilung, weil er gesund ist. Weder seine Menschenliebe, noch sein Gottesverhältnis nehmen durch die ihm angetane Brutalität Schaden, er betet für seine Peiniger und behält sein Gottvertrauen in letzter Verlassenheit.

    Jesus als Lamm

    Während wir unsere Schuld zu verschweigen pflegen, weil wir die Strafe fürchten, verschweigt Jesus seine Unschuld. Er verzichtet darauf für sich zu sprechen und sich zu rechtfertigen, weil er daran glaubt, dass ihm selbst die Todesstrafe nichts anhaben kann: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, son¬dern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. (Mt 10,28) Das Symbol des Lammes enthält beide Aspekte dieses revolutionären Verhaltens: Als Symbol der Unschuld bringt es zum Ausdruck, dass auch noch der geringste Ver¬dacht der Gegengewalt bei Jesus wegfällt; als klassisches Opfertier deutet es an, wie sich das grausame Geschehen mit unfehlbarer Gewissheit gerade an dem austobt, der die ihm zur Verfügung stehende Gewalt - mehr als zwölf Legionen Engel – nicht in Anspruch nimmt (Mt 26,53). Zugang zur Therapie hat nur, wer sich einer wahrhaftigen Diagnose öffnet, nur wer seine Schuld geduldig erforscht und sich auch um Hilfe bemüht, hat eine Chance ge¬heilt zu werden. Dass das ganze Thema unangenehm ist, dass der Bußfertige aus¬ge¬nutzt und zum Opfer gemacht werden kann, bleibt wahr und bleibt schlimm, und alle Furcht ist menschlich und verständlich. Aber wahr ist auch, es gibt Schlimmeres: Keine Diagnose, keine Therapie, keine Rettung, und das Leben zerrinnt zwischen den Fin¬gern, es gibt keinen inneren und äußeren Frieden und man weiß nicht einmal warum, weil man es nicht wissen will und nicht zulassen kann.
    Jesus, das Lamm, ist ein neuer Typ Held; der stoischen Raushaltekultur, die bei den Römern damals schick war, setzt Jesus eine Kultur des Freundschaftsdienstes, des liebenden Engagements entgegen, die rückhaltlosen, aber gewaltfreien Einsatz bedeutet: Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. (Joh 15,12-15)
    Diese Kultur der Liebe hat schon in der Antike zahllose Menschen begeistert, sodass die polytheistischen Opferkulte und Orakel innerhalb weniger Jahrhunderte als leer und bedeutungslos empfunden und aufgegeben wurden. Und heute, da die Kirche an Macht und Einfluss verliert, weil man ihr das Zurückbleiben hinter der Vorbildlichkeit Jesu vorhält, das die Kirche selbst allerdings freimütig zugibt, gerade heute gewinnt das Vorbild Jesu an Einfluss. Das kann insbesondere daran abgelesen werden, dass die Perspektive der Opfer relevanter geworden ist als jemals zuvor in der Geschichte. Zahllose Hilfsorganisationen kümmern sich um Menschen in Not, und die Medien interessieren sich für Schicksale gerade auch derer, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen. Dass das im Reality-TV auch merkwürdige Auswüchse zeitigt, und dass die mediale Selbstdarstellung und Selbststilisierung als Opfer nicht in allen Fällen wahrhaftig und gerecht ist, muss dabei gar nicht bestritten werden. Trotzdem gilt: Die einzige Krone, die heute noch zählt, ist die Krone der Martyrer. (Klaus Berger) Demonstrationen von Macht und Reichtum, Gewalt und Grausamkeit nehmen uns nicht mehr für, sondern gegen die Mächtigen ein; wer sich gewaltfrei, aber mit dem Einsatz seines ganzen Lebens für seine Sache einsetzt – Ich nenne den Dalai Lama, Johannes Paul II, Mutter Teresa von Kalkutta, Martin Luther King, Mahatma Gandhi als herausragende Zeitgenossen. – kann darauf rechnen, von uns ernst genommen zu werden, gerade dann, wenn er oder sie einen offenen Umgang mit dem eigenen Versagen kultiviert.

    Die Rolle Gottes

    Bislang ist das Wort „Gott“ vermieden worden. Denn wenn dieses Wort fällt, dann ist durchaus noch nicht ausgemacht, wer oder was damit gemeint ist. Der antike My¬thos sah seine Funktion vor allem darin, zu bestätigen, zu rechtfertigen, was ohnedies geschieht. Die Bibel als Dokument einer Protestreligion ver¬weigert sich der Rechtfer¬tigung des Faktischen; sogar Moses und David, die im Rückblick als ideale Führer dar¬gestellt werden, hält man ihre Verfehlungen fast kleinkariert vor. Das Buch Ijob beschäftigt sich mit dem Leiden des Gerechten. Das Buch gehört zur Gruppe der Weisheitsbücher, denn das dargestellte Problem wird vor allem in Form von Dialogen, in klugen Erörterungen zwischen Ijob und seinen Freunden dargestellt. Auch Gott selbst tritt als Gesprächspartner auf. Aber das Buch bleibt an einer be¬stimm¬ten Grenze hängen: Ijob wird zwar dem Leiden preisgegeben, aber er muss nicht sterben, sondern wird am Ende des Buches wieder in seine irdischen Güter eingesetzt. Die wirklichen Toten der Geschichte, Ijobs Söhne und Töchter (Ijob 1,19), werden einfach durch andere Söhne und Töchter ersetzt. (Ijob 42,13) Hier konnte sie Deutung Christi nicht ansetzen. Im Bild des Lammes, das vor seinem Scherer ver¬stummt, (Jes 53,7; Apg 8, 32) wird eindrucksvoll der Kontrast zwischen Jesus und der Beredsamkeit des Ijobbuches symbolisiert: Als Antwort auf das Schweigen des Gekreuzigten reichen kluge Lehren nicht mehr aus. Zu beantworten bleibt die Wahrheitsfrage, ob der Gott, der Jesus, den unschuldig Hingerichteten, aus den Toten auferweckt hat (Colosser 2,12), wirklich existiert. Die Frage kann umgekehrt und so gestellt werden:
    Wäre es nicht des Allgewaltigen Amt, seines geliebten Knechtes ungerechte Bestrafung und blasphemische Opferung zu verhindern?
    Die Antwort kann man auf die Weise suchen, dass man sich fragt, wie Gott das hätte machen sollen; die Bibel spricht mindestens zwei Möglichkeiten an:
    (1) Herodes freute sich sehr, als er Jesus sah; schon lange hatte er sich gewünscht, mit ihm zusammenzutreffen, denn er hatte von ihm gehört. Nun hoffte er, ein Wunder von ihm zu sehen. (Lukas 23,8) Man könnte sich leicht ein Zeichen vorstellen, das Herodes beeindruckt, den Messias aber nicht oder nur wenig kompromittiert hät¬te, wie damals in Nazaret, als ihm schon einmal die Hinrichtung drohte: Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg. (Lukas 4,16)
    Die Bibel erzählt von der Errettung am Schilfmeer bis hin zu den Wundern Jesu viele Geschichten von Machttaten Gottes. Aber wenn man weiter liest, dann entdeckt man, dass die Geschichten nicht gut ausgehen: Der Errettung am Schilfmeer folgt der Tanz um das goldene Kalb (Exodus 32), der Gottesprobe des Elia auf dem Karmel (1 Kö¬ni¬ge 18) folgt die Flucht des Propheten in Wüste und Todessehnsucht (1 Kg 19). Der wunderbaren Brotvermehrung folgt der Weggang der Mehrheit der Jünger Jesu (Johannes 6). Das lässt nur einen Schluss zu: Das Wirken Gottes lässt sich nicht durch Machttaten nach dem Muster mensch¬licher Groß- und Gewalt¬taten er¬weisen. Denn solche Taten machen den Men¬schen zum Objekt der Überwäl¬ti¬gung. Die Bibel scheint dergleichen zu erzählen, um zu zeigen, dass es nicht funk¬tioniert. Ganz bei sich selbst ist die Bibel in den Ge¬schichten, die Gott auf der Seite der Opfer zeigen, der den Erniedrigten eine Stimme gibt.
    (2) Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem ge¬hen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen. Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhü¬ten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! (Mt 16,21-22) Petrus meint es gut mit Jesus, und er meint es gut mit sich selbst; denn die Jünger und die Kranken und Verlorenen brauchen Jesus, er könnte gut noch ein paar Jahre weiter the¬ra¬peu¬tisch tätig sein und die Jüngerschar führen. Warum muss er nach Jerusalem? Aber was hätte es bedeutet, wenn Jesus dem Ansinnen seines Apostels gefolgt wäre? Dass er sich in seiner irdischen Anwesenheit für unersetzlich erklärt hätte und den Jüngern nicht zutraute, alleine zu Recht zu kommen. Aber der von Jesus ausgehende Anstoß zu freiem Freundschaftsdienst auf der Basis der Wahrhaftigkeit, zu Offenheit für Schuld überwindende Therapie, zur Ver¬nei¬nung der Rechtfertigung von Opfern, muss von seinen Jüngern, also heute von uns weitergespielt werden; wir dürfen uns nicht an die Rockschöße der Allmacht klammern. Nachfolge Jesu geschah auch und geschieht – vielleicht mehr denn je. Das setzt allerdings voraus, dass Jesus nicht vergessen wird, und dazu bleibt die Kirche notwendig. Und dass man es ihren Mitgliedern nicht mehr durchgehen lässt, sich auf Jesus zu berufen, es aber mit der Liebe im Erstfall nicht allzu genau zu nehmen, ist ein hoffnungsvolles Zeichen.
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    Angesichts der letzten Stunden im Leben Jesu geraten unsere Begriffe von Wahrheit, Freiheit, Liebe, Gerechtigkeit, Gott in eine Bewegung, die uns bis ans Ende unserer Tage – als einzelne und als Menschheit – nicht mehr loslassen wird. Eine Szene der Evangelien gibt hier vielleicht den stärksten Anstoß: Und Jesus nahm Petrus, Jakobus und Johannes mit sich. Da ergriff ihn Furcht und Angst, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf die Erde nieder und betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorüber gehe. Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst. Und er ging zurück und fand sie schlafend. (Markus 14,33-36) Indem betont wird, dass die Szene sich vor schlafenden Zeugen abspielt, ist sie der historischen Verifizierbarkeit von vorneherein entzogen; es geht um eine Wahrheit, die nicht das sinnlich Erfahrbare betrifft: Das Unvermeidliche ist nicht zu akzeptieren. Jesus erklärt sich nicht einverstanden. Und das aus guten Gründen, denkt man alleine an die Rachephantasien, die der Tod des Erlösers in der Geschichte noch hervorrufen sollte. Er weist die Verantwortlichkeit dem Vater zu und dadurch von den Menschen weg: Sie wissen nicht, was sie tun. (Lk 23,34) Denn nur der Vater kann wissen und wollen und verwirklichen, dass das Kreuz, der furchtbare Tod, zum Sieg des Lebens wird.
    Heute nimmt das Kreuz in vielen Wohnungen und an vielen Wegen einen zentralen Platz ein. Wenn wir „Gott“ sagen, meinen die meisten von uns ganz selbstverständlich den Gott, den der Gekreuzigte seinen „Vater“ nannte. Ein Beweis für die Wahrheit, der alle über¬zeugt, ist das nicht; aber was bedeutete eigentlich „Wahrheit“, wenn der Ursprung aller Wahrheit eine Lüge wäre?
    Ein Beispiel ist uns gegeben, gegen die Spirale der Zerstö¬rung aufzustehen, uns an der Gerechtigkeit und Freiheit zu orientieren, die Jesus uns vorgelebt hat. Daraus et¬was zu machen liegt an uns.

    1. Die Argumentation folgt teilweise dem Buch: René Girard: Ich sah den Teufel vom Himmel fallen wie einen Blitz (1999), deutsch Wien 2002
    2. Der Beliebtheit dieses Motives hat Hans Blumenberg eine metaphorologische Studie gewidmet: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt 1986, wieder aufgelegt Frankfurt 2005