Landschaftsbeschreibungen in der Literatur
Landschaftsbeschreibungen in der deutschsprachigen Literatur
"Von der Antike bis ins 18. Jh. ist die Natur- und Landschaftsdarstellung von zwei gegensätzlichen Topoi geprägt: die N. erscheint als Locus amoenus, als lieblicher, schöner Ort, oder als Locus terribilis, als schrecklicher, lebensfeindlicher Ort. Diese Topoi basieren nicht auf empirischen Beschreibungen, sondern es sind Bildmuster, die mit bestimmten Requisiten möbliert werden. Im 18. Jh. erfährt die schreckliche N. eine Umwertung: sie wird zur ›erhabenen‹ N. Die Vorstellung von der erhabenen N. enthält allerdings bereits Keime einer pessimistischen Naturauffassung, die im 19. Jh. zum Tragen kommt."
- Volker Meid, Sachwörterbuch zur Deutschen Literatur, Reclam
"Große Dichtung gibt es von der Beseelung der ganzen Welt, jedes Steins, jedes Blatts, jedes Tierleins, durch die allumfassende Liebe und es gibt große Dichtung vom gegenläufigen Prozeß, von der unausweichlichen Verödung der Welt, ihrer Entseelung und Erkältung, vom allgemeinen Verdorren und Vertrocknen. Das 'Mayfest' wird zur 'Winterreise'. Ganz schrecklich kann das bei Lenau sein. Eichendorff - »und über die Wasser weht's kalt« - beginnt, wie Brentano, aus solcher Versteppung heraus wieder den alten Gott zu beschwören."
- Peter v. Matt: Liebesverrat, die Treulosen in der Literatur dtv 1991, S.225
Aus Der Grüne Heinrich von Gottfried Keller
Beispiele
Landschaft als Offenbarung
Es zeigt so gar die dürre Heide,
Zu unsrer nicht geringen Freude,
Wenn man sie recht genau betracht,
Des großen Schöpfers Wunder-Macht.
Wenn wir die obenhin besehn,
So scheint sie traurig, schwarz, verdorrt und schlecht:
Allein betrachtet man sie recht;
So ist auch sie nicht minder schön,
Und sieht man wunderbar in ihr
Der Farben Pracht, der Bildung Zier
Fast unverbesserlich verbunden.
Ich habe dieses wahr befunden.
Denn als ich jüngst mich etwas zu vertreten,
Mich auf das Feld begab; befand ich alsobald,
Daß in des Heide-Krauts so zierlicher Gestalt,
Nicht weniger als sonst, der Schöpfer anzubeten.
Ich setzte mich, und rupfte manchen Strauß,
Sie besser zu besehen, aus.
Mein Gott! wie viel, wie mancherley
Verändrung, Schmuck und Zierlichkeiten
Fand ich in diesem Kraut, das doch von weiten
Nicht anders lässt, als obs nur braun gefärbet sey.
Ich ward zugleicg, wie schön, wie wunderbar.
Wie mannigfaltig die Bildung sey, gewahr.
Die größten Bäume trifft man hier
In solcher Schön- und netten Kleinheit an,
Daß man der Stämme Zweig' und Blätter holde
Zier
Nicht gnug besehn, nicht gnug bewundern kann.
Ich fand daß ob sie gleich sehr klein,
Die Stämme wahres Holz, wie große Stämme,
seyn.
Es hat die Festigkeit, es brennet, eine Rinde
Umgiebt sie, ja ich finde
Dieselbe recht mit Moß, gleich den bejahrten Eichen,
Umgeben und geziert. Die Blümchen, die so schön,
Auf jedem kleinem Zweig', als Apfel-Blüthe, stehn,
Sieht man der Bienen Heer die süße Nahrung
reichen.
Betrachte denn forthin, geliebter Mensch, die Heide
Nicht sonder Gottes Lob, nicht sonder Freude!
- Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten, Hamburg 1739
Landschaft klassisch
Gestaltete Landschaft - Naturverbesserungen:
Aber Eduard ließ ihm in den ersten Tagen keine Ruhe; er führte ihn überall herum, bald zu Pferde, bald zu Fuße, und machte ihn mit der Gegend, mit dem Gute bekannt; wobei er ihm zugleich die Wünsche mitteilte, die er zu besserer Kenntnis und vorteilhafterer Benutzung desselben seit langer Zeit bei sich hegte.
»Das erste, was wir tun sollten«, sagte der Hauptmann, »wäre, daß ich die Gegend mit der Magnetnadel aufnähme. Es ist das ein leichtes, heiteres Geschäft, und wenn es auch nicht die größte Genauigkeit gewährt, so bleibt es doch immer nützlich und für den Anfang erfreulich; auch kann man es ohne große Beihülfe leisten und weiß gewiß, daß man fertig wird. Denkst du einmal an eine genauere Ausmessung, so läßt sich dazu wohl auch noch Rat finden«.
Der Hauptmann war in dieser Art des Aufnehmens sehr geübt. Er hatte die nötige Gerätschaft mitgebracht und fing sogleich an. Er unterrichtete Eduarden, einige Jäger und Bauern, die ihm bei dem Geschäft behülflich sein sollten. Die Tage waren günstig; die Abende und die frühsten Morgen brachte er mit Aufzeichnen und Schraffieren zu. Schnell war auch alles laviert und illuminiert, und Eduard sah seine Besitzungen auf das deutlichste aus dem Papier wie eine neue Schöpfung hervorwachsen. Er glaubte sie jetzt erst kennenzulernen, sie schienen ihm jetzt erst recht zu gehören.
Es gab Gelegenheit, über die Gegend, über Anlagen zu sprechen, die man nach einer solchen Übersicht viel besser zustande bringe, als wenn man nur einzeln, nach zufälligen Eindrücken, an der Natur herumversuche.
»Das müssen wir meiner Frau deutlich machen«, sagte Eduard. »Tue das nicht!« versetzte der Hauptmann, der die Überzeugungen anderer nicht gern mit den seinigen durchkreuzte, den die Erfahrung gelehrt hatte, daß die Ansichten der Menschen viel zu mannigfaltig sind, als daß sie, selbst durch die vernünftigsten Vorstellungen, auf Einen Punkt versammelt werden könnten.
»Tue es nicht!« rief er, »sie dürfte leicht irre werden. Es ist ihr wie allen denen, die sich nur aus Liebhaberei mit solchen Dingen beschäftigen, mehr daran gelegen, daß sie etwas tue, als daß etwas getan werde. Man tastet an der Natur, man hat Vorliebe für dieses oder jenes Plätzchen; man wagt nicht, dieses oder jenes Hindernis wegzuräumen, man ist nicht kühn genug, etwas aufzuopfern; man kann sich voraus nicht vorstellen, was entstehen soll, man probiert, es gerät, es mißrät, man verändert, verändert vielleicht, was man lassen sollte, läßt, was man verändern sollte, und so bleibt es zuletzt immer ein Stückwerk, das gefällt und anregt, aber nicht befriedigt«.
»Gesteh mir aufrichtig«, sagte Eduard, »du bist mit ihren Anlagen nicht zufrieden«.
»Wenn die Ausführung den Gedanken erschöpfte, der sehr gut ist, so wäre nichts zu erinnern. Sie hat sich mühsam durch das Gestein hinaufgequält und quält nun jeden, wenn du willst, den sie hinaufführt. Weder nebeneinander noch hintereinander schreitet man mit einer gewissen Freiheit. Der Takt des Schrittes wird jeden Augenblick unterbrochen; und was ließe sich nicht noch alles einwenden!«
»Wäre es denn leicht anders zu machen gewesen?« fragte Eduard.
»Gar leicht«, versetzte der Hauptmann; »sie durfte nur die eine Felsenecke, die noch dazu unscheinbar ist, weil sie aus kleinen Teilen besteht, wegbrechen, so erlangte sie eine schön geschwungene Wendung zum Aufstieg und zugleich überflüssige Steine, um die Stellen heraufzumauern, wo der Weg schmal und verkrüppelt geworden wäre. «.
Durch die Landschaft in die Vorzeit:
Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich;
Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad.
Um mich summt die geschäftige Bien', mit zweifelndem Flügel
Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichten Klee.
Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste,
Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft.
Doch jetzt braust's aus dem nahen Gebüsch: tief neigen der Erlen
Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras;
Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein.
In des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt
Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.
Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne,
Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt.
Tief an des Berges Fuß, der gählings unter mir abstürzt,
Wallet des grünlichten Stroms fließender Spiegel vorbei.
Endlos unter mir seh' ich den Äther, über mir endlos,
Blicke mit Schwindel hinauf, blicke mit Schaudern hinab.
Aber zwischen der ewigen Höh' und der ewigen Tiefe
Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin.
Innere Landschaften - Gemütslandschaften
J.W. Goethe: Werther (1772) - Georg Büchner: Lenz (1834)
Nichts aber ist in diesem Zusammenhang aufregender als ein Vergleich zwischen der ersten Seite von Büchners Lenz und den naturhymnischen Passagen im Werther. [...] In den Landschaftsspektakeln des »Werther« bricht die verborgene Seele der Natur aus, einer göttlich-stürmischen Natur. Da braust und wogt pneumatisch die kosmische Liebe. Bei Büchner braust und tobt und blitzt und gleißt es ebenfalls in der Natur, auf den Kuppen der Vogesen, die gleichen Wörter tauchen auf und ein verwandtes Ungestüm der Bilder und Metaphern. Aber jetzt ist die Beseelung der Welt die fürchterliche Projektion eines gestörten Kopfs, der seine arme Wirrnis, seinen Hirnbrand in die Landschaft spiegelt. Kein Erdgeist wälzt sich in den Schluchten und widerhallt von den Felswänden, sondern es halluziniert in einem armen kaputten Schädel und alle »Würckungskrafft« ist nichts weiter als beginnende Schizophrenie. Das ist nicht mehr der »heilige Wahnsinn« als »höchste menschliche Erscheinung«, was von Werther zu sagen durchaus am Platze wäre, sondern es ist: die deutsche Gegenreligion als Geisteskrankheit.
- Peter v. Matt: Liebesverrat, die Treulosen in der Literatur dtv 1991 S.225
- Am 10. Mai. (Zweiter Brief)
- Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, daB meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes rubt, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund! wenn's dann um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die Gestalt einer Geliebten- dann sehne ich mich oft und denke: Ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes!- Mein Freund - Aber ich gehe darüber zugrunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.
- Am 18.August.
- Mußte denn das so sein, daß das, was des Menschen Glückseligkeit macht, wieder die Quelle seines Elendes würde? Das volle, warme Gefühl meines Herzens an der lebendigen Natur, das mich mit so vieler Wonne überströmte, das rings umher die Welt mir zu einem Paradiese schuf, wird mir jetzt zu einem unerträglichen Peiniger, zu einem quälenden Geist, der mich auf allen Wegen verfolgt. Wenn ich sonst vom Felsen über den Fluß bis zu jenen Hügeln das fruchtbare Tal überschaute und alles um mich her keimen und quellen sah; wenn ich jene Berge, vom Fuße bis auf zum Gipfel, mit hohen, dichten Bäumen bekleidet, jene Täler in ihren mannigfaltigen Krümmungen von den lieblichsten Wäldern beschattet sah, und der sanfte Fluß zwischen den lispelnden Rohren dahingleitete und die lieben Wolken abspiegelte, die der sanfte Abendwind am Himmel herüberwiegte; wenn ich dann die Vögel um mich den Wald beleben hörte, und die Millionen Mückenschwärme im letzten roten Strahle der Sonne mutig tanzten, und ihr letzter zuckender Blick den summenden Käfer aus seinem Grase befreite, und das Schwirren und Weben um mich her mich auf den Boden aufmerksam machte, und das Moos, das meinem harten Felsen seine Nahrung abzwingt, und das Geniste, das den dürren Sandhügel hinunter wächst, mir das innere, glühende, heilige Leben der Natur eröffnete wie faßte ich das alles in mein warmes Herz, fühlte mich in der überfließenden Fülle wie vergöttert, und die herrlichen Gestalten der unendlichen Welt bewegten sich allbelebend in meiner Seele. Ungeheure Berge umgaben mich, Abgründe lagen vor mir, und Wetterbäche stürzten herunter, die Flüsse strömten unter mir, und Wald und Gebirg erklang und ich sah sie wirken und schaffen ineinander in den Tiefen der Erde, alle die unergründlichen Kräfte; und nun über der Erde und unter dem Himmel wimmeln die Geschlechter der mannigfaltigen Geschöpfe. Alles, alles bevölkert mit tausendfachen Gestalten; und die Menschen dann sich in Häuslein zusammen sichern und sich annisten und herrschen in ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Tor! der du alles so gering achtest, weil du so klein bist. Vom unzugänglichen Gebirge über die Einöde, die kein Fuß betrat, bis ans Ende des unbekannten Ozeans weht des Geist des Ewigschaffenden und freut sich jedes Staubes, der ihn vernimmt und lebt.
- Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump.
- Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte. Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen, er begriff nicht, daß er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse Alles mit ein Paar Schritten ausmessen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Thäler warf, und es den Wald herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald wie fern verhallende Donner, und dann gewaltig heran brausten, in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besingen, und die Wolken wie wilde wiehernde Rosse heransprengten, und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes Schwert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles, blendendes Licht über die Gipfel in die Thäler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen lichtblauen See hineinriß, und dann der Wind verhallte und tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen Blau ein leises Roth hinaufklomm, und kleine Wölkchen auf silbernen Flügeln durchzogen und alle Berggipfel scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten, riß es ihm in der Brust, er stand, keuchend, den Leib vorwärts gebogen, Augen und Mund weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, Alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe that; oder er stand still und legte das Haupt in's Moos und schloß die Augen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich unter ihm, sie wurde klein wie ein wandelnder Stern und tauchte sich in einen brausenden Strom, der seine klare Fluth unter ihm zog.
- Aber es waren nur Augenblicke, und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen, er wußte von nichts mehr.
Traumlandschaften
Verloren in mittäglicher Traum-Landschaft: J. F. v. Eichendorff: Das Marmorbild (1818)
Kommentar:
Überblickte Landschaften - Fernblicke
Gottfried Keller: Der grüne Heinrich.
Adalbert Stifter: Der Hagestolz (Kap. 4: "Wanderung")
Bedrohliche Landschaft
Am "Schauplatz einer Drohung": Alfred Andersch, Sansibar oder der letzte Grund
- Kapitel 2: Der junge KPD-Genosse Gregor radelt in Richtung einer Stadt an der Ostsee, wo er einen gefährlichen Auftrag zu erfüllen hat. Er stellt sich vor, wie der Vorhang sich öffnet und eine Landschaft tut sich auf. Aber er nähert sich auch dem "Schauplatz einer Drohung", weswegen sich die Landschaft ihm verschließt.
Einsam in einsamer Landschaft
- Dieser Pol, nämlich der menschenfernste Punkt des ganzen Königreichs, befand sich im Zentralmassiv der Auvergne, etwa fünf Tagesreisen südlich von Clermont, auf dem Gipfel eines zweitausend Meter hohen Vulkans namens Plomb du Cantal.
- Der Berg bestand aus einem riesigen Kegel bleigrauen Gesteins und war umgeben von einem endlosen, kargen, nur von grauem Moos und grauem Ge-strüpp bewachsenen Hochland, aus dem hier und da braune Felsspitzen wie verfaulte Zähne aufragten und ein paar von Bränden verkohlte Bäume. Selbst am helllichten Tage war diese Gegend von so trostloser Unwirtlichkeit, daß der ärmste Schafhirte der ohnehin armen Provinz seine Tiere nicht hierher getrieben hätte. Und bei Nacht gar, im bleichen Licht des Mondes, schien sie in ihrer gottverlassenen Öde nicht mehr von dieser Welt zu sein. Selbst der weithin gesuchte auvergnatische Bandit Lebrun hatte es vorgezogen, sich in die Cevennen durchzuschlagen und dort ergreifen und vierteilen zu lassen, als sich am Plomb du Cantal zu verstecken, wo ihn zwar sicher niemand gesucht und gefunden hätte, wo er aber ebenso sicher den ihm schlimmer erscheinenden Tod der lebenslangen Einsamkeit gestorben ware. In meilenweitem Umkreis des Berges lebten kein Mensch und kein or-dentliches warmblütiges Tier, bloß ein paar Fledermäuse und ein paar Käfer und Nattern. Seit Jahrzehnten hatte niemand den Gipfel bestiegen.
- Grenouille erreichte den Berg in einer Augustnacht des Jahres 1756. Als der Morgen graute, stand er auf dem Gipfel. Er wußte noch nicht, daß seine Reise hier zuende war. Er dachte, dies sei nur eine Etappe auf dem Weg in immer noch reinere Lüfte, und er drehte sich im Kreise und ließ den Blick seiner Nase über das gewaltige Panorama des vulkanischen Ödlands streifen: nach Osten hin, wo die weite Hochebene von Saint- Flour und die Sümpfe des Flusses Riou lagen; nach Norden hin, in die Gegend, aus der er gekommen und wo er tagelang durch karstiges Gebirge gewandert war; nach Westen, von woher der leichte Ylorgenwind ihm nichts als den Geruch von Stein und hartem Gras entgegentrug; nach Süden schließlich, wo die Ausläufer des Plomb sich meilenweit hinzogen bis zu den dunklen Schluchten der Truyere. Überall, in jeder Himmelsrichtung, herrschte die gleiche Menschenferne, und zugleich hätte jeder Schritt in jede Richtung wieder größere Menschennähe bedeutet. Der Kompaß kreiselte. Er gab keine Orientierung mehr an. Grenouille war am Ziel. Aber zugleich war er gefangen.
- [...] Ein ungeheurer Jubel brach in ihm aus. So wie ein Schiffbrüchiger nach wochenlanger Irrfahrt die erste von Menschen bewohnte Insel ekstatisch begrüßt, feierte Grenouille seine Ankunft auf dem Berg der Einsamkeit."
- Patrick Süßkind: Das Parfum, Diogenes Taschenbuch, Zürich 1994 S. 152 f, Kapitel 24