Karikatur/Karikaturen im Unterricht einsetzen

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Version vom 29. Dezember 2022, 15:04 Uhr von Matthias Scharwies (Diskussion | Beiträge) (→‎Bildbetrachtung als Einstieg)
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Wie sollen Karikaturen nun im Geschichtsunterricht eingesetzt werden?

Wie bei jeder Arbeit mit Quellen im Geschichtsunterricht muss auch bei der Verwendung von Karikaturen eine Vorauswahl des Lehrers im Hinblick auf die Verwendbarkeit des Materials für die Unterrichtsreihe und auf ein der Klassenstufe angemessenes Niveau getroffen werden. Neben der Frage, ob die Verwendung der Karikatur die zeitökonomischste Form zur Erreichung der Lernziele ist, muss auch bedacht werden, ob eventuell die Gefahr einer Fehlinterpretation besteht.[1]

Karikaturen können als Unterrichteinstieg zur Hinführung zu einem neuen Unterrichtsthema oder einer Unterrichtsreihe verwendet werden, einen zentralen Stellenwert innerhalb der Lern- und Arbeitsschritte während der Erarbeitungsphasen besitzen oder als Medium zu einer Gesamtreflexion am Ende einer Unterrichtsstunde oder -einheit verwendet werden. Daneben besteht die Möglichkeit, Karikaturen innerhalb einer rein auf die Erlernung von Methoden konzipierten Unterrichtsstunde oder -einheit (Inhalte treten gegenüber dem Methodenlernen zurück) zu verwenden, beispielsweise einer Sequenz zur Einführung in die Arbeit mit Bildquellen.

didaktische Analsye

Die didaktische Analyse bei der Vorauswahl orientiert sich sowohl an den allgemeinen quellenkritischen Gesichtspunkten als auch an den spezifischen Eigenarten, die dem Bildmaterial Karikatur innewohnen.

Wesentliche Punkte der Quellenkritik sind dabei die Frage nach dem exakten Entstehungsdatum und dem Veröffentlichungsort der Karikatur, worunter sowohl die geographische Lokalität (Erscheinungsland, -ort) als auch das Medium, in dem die Karikatur erschienen ist, verstanden werden; gerade letzterer Punkt gibt auch Auskunft über den Adressatenkreis, an den sich die Karikatur richtete, damit auch Informationen über ihren Verbreitungsgrad zum Zeitpunkt ihres Erscheinens.

Nach Möglichkeit sollte auch der Zeichner der Karikatur ermittelt werden, da über dessen Bekanntheitsgrad zumindest Mutmaßungen über die Breitenwirkung einzelner Karikaturen angestellt werden können. Informationen über den politischen Standpunkt und die Herkunft des Zeichners erleichtern die historische Einordnung der Quelle; gerade bei älteren Karikaturen oder in Zeiten der Pressezensur anonym erschienenen Karikaturen kann jedoch zu diesem Punkt oftmals keine eindeutige Aussage gemacht werden.

Detailliert abgeklärt werden muss der historische Kontext, das konkrete Ereignis oder der Sachverhalt, auf den sich die Karikatur bezieht. Dies umso mehr als die Karikatur historisches Geschehen nicht real abbildet, sondern es sehr stark verdichtet und komprimiert darstellt, bewusst Sachverhalte verzerrt, verfremdet und nebensächliche, aber zur Interpretation hilfreiche Informationen außen vor lässt. Gerade das Abstraktionsniveau der Karikatur, d.h. die Übertragung eines realen historischen Sachverhaltes in einen anderen Bereich, stellt die größte Schwierigkeit bei der Karikaturanalyse dar. Hinzu tritt der Umstand, dass Karikaturen insgesamt nonverbale Mitteilungen darstellen, bei denen die Bildelemente überwiegen, obwohl Textelemente durchaus ein integrativer Bestandteil sein können, ihnen aber in der Regel nur die Funktion der Interpretations- oder Verständnishilfe zukommt (Beschriftungen zum Erkennen von Personen; Abklären des Bezugsrahmens, z.B. durch die Angabe einer Literaturstelle, auf die sich die Karikatur stützt).

Hauptsächlich besteht die Karikatur jedoch aus bildlich-graphischen Elementen, die äußerst genau in ihren Einzelheiten wahrgenommen werden müssen, da das Verständnis der Karikaturaussage in unmittelbarer Korrelation zur detaillierten Betrachtung und der Kenntnis der historischen Hintergrundinformationen steht.

Ein gravierendes didaktisches Problem entsteht durch die verschlüsselten Bildelemente und Zeichen, die in den Karikaturen verwendet werden. Während dem Zeitgenossen diese Zeichen meist vertraut waren, müssen sie vom historisch zurückschauenden Betrachter erst erschlossen werden. Semantischer Bedeutungswandel und Rätselhaftigkeit einzelner Karikaturteile erschweren die Bearbeitung der Bildquelle. Die Entschlüsselung der Bild- und Zeichensprache ist somit eine Hauptvoraussetzung für die Interpretation der Karikatur. Problematisch ist es auch für Schüler Personen zu erkennen, die sie ansonsten nur dem Namen nach kennen (z.B. Heinrich von Gagern oder Friedrich Wilhelm IV.) - hier kann man durch Beschriftung der Personen Hilfestellungen geben.

Das Umgang mit Karikaturen in der Schule muss also systematisch erlernt werden.

Ihre Verwendung stellt für den Geschichtsunterricht eine Herausforderung dar, weil die Karikatur eine besondere Art von Quelle ausmacht - sie ist stets und absichtlich wertend.

Karikaturen sind heutzutage integraler Bestandteil der Medien; ihre bildlich-visuelle, oft comicartig anmutende Darstellungsart spricht Schüler erfahrungsgemäß ab der Klassenstufe 8 an.

Die komisch-witzige Komponente der Karikatur kann motivationsfördernd wirken, und die Notwendigkeit zur Enträtselung der Karikatur zu ihren Verständnis entspricht dem kritisch-fragenden Bedürfnis von Jugendlichen dieser Altersstufe.

Gleichzeitig ist die Karikatur anschaulich, da sie komplexe Sachverhalte punktuell darstellen oder zusammenfassend reduzieren und verknappen kann. Die primär bildliche Erscheinungsform bietet dem Lehrer die Möglichkeit einen methodischen Wechsel durchzuführen, der unterschiedliche Fertigkeiten der Schülers fördert. Neben der visuellen Aufnahmen und Verarbeitung ist der Schüler auch gezwungen, seine Erkenntnisse verbal zu äußern, somit wird durch detaillierte Beschreibung und Deutung auch das sprachliche Ausdrucksvermögen gefördert. Anders als bei Textquellen haben die Schüler hierbei nicht die Möglichkeit auf das Vokabular der Quelle zurückzugreifen, sondern sie werden durch das Fehlen eines Textes angehalten, die Eindrücke in eigenständigen Worten zu formulieren.

Damit verlangt die Karikatur - sofern sie nicht nur zur Illustration missbraucht wird - ein hohes Maß an Eigenarbeit der Schüler in Form von qualifizierter Erarbeitung und selbständiger sprachlicher Wiedergabe der Analyse.

Die Eigenart der Karikatur zur Verschlüsselung, Verfremdung und Reduktion des Geschehens verlangt jedoch vom Schüler, dass er die Fähigkeit zur Abstraktion besitzt, die nach Piaget ungefähr mit dem 12. Lebensjahr eines Kindes eintritt, so dass der Gebrauch von Karikaturen erst beim Erreichen einer bestimmten lern- und entwicklungspsychologischen Stufe zu empfehlen ist.

Um sinnvoll mit Karikaturen im Unterricht arbeiten zu können, muss deren Analyse systematisch eingeführt und eingeübt werden, somit ist die Arbeit mit diesem Bildmedium zeitintensiv.

Eine korrekte Wahrnehmung der Bildelemente der Karikatur ist von immenser Wichtigkeit. Insbesondere dürfen kleine Details der Zeichnung nicht unbeachtet bleiben, weil ansonsten Bildelemente falsch zueinander in Beziehung gesetzt werden könnten. Die langsame und sorgfältige Betrachtung der Karikatur beugt zudem einer vorschnellen, spekulativen Interpretation durch die Schüler vor (allerdings kann ein Sammeln erster spontaner Eindrücke eine Vorstufe zur systematischen Interpretation bilden).

Die Karikatur darf nicht zu einfach sein, weil sich eine Analyse nur auf triviale Äußerungen beschränken würde, andererseits sollte sie aber auch nicht zu komplex oder abstrakt gewählt werden, weil ihre Enigmatik einen zeitlich festgelegten Rahmen sonst sprengen würde und sie für Schüler prinzipiell auf Grund ihres Vorwissens gedeutet werden können muss. Dies setzt voraus, dass semiotische Bestandteile erkannt und identifiziert werden können.

Manfred Faust[2] unterscheidet diese semiotischen Bestandteile von Karikaturen in zwei Gruppen: ikonische Zeichen und arbiträre Zeichen.

  • Ikonische Zeichen sind solche Bildelemente, deren Bedeutung allgemein bekannt ist oder die aus sich heraus erläutert werden können (Fessel= Zeichen für Unfreiheit, Unterdrückung; Palmzweig oder Taube=Symbol für Frieden).
  • arbiträre Zeichen sind willkürliche Zeichen, die erst im Zusammenhang gedeutet werden müssen.

Problematisch gestaltet sich die Ausdeutung der Zeichen auch wegen der veränderten Bildungsnormen der Gesellschaft; historische (z.B. Bismarck als Heinrich IV. in Canossa, Hindenburg und Hitler als römische Senatoren, die auf ein brennendes Rom blicken) oder literarische Bezüge (Hitler als Dr Jekyll and Mr Hyde; Gorbatschow als Zauberlehrling) gerade aus der antiken Mythologie (Bismarck als Prokrustes) werden von Schülern nicht mehr unbedingt verstanden und Kenntnisse, die früher im westlichen Kulturkreis vertraut waren, sind nicht mehr notwendigerweise bekannt und müssen von den Schülern erst erlernt werden. Das Problem ergibt sich auch für Bildelemente deren Bedeutung dem "historischen" Betrachter vielleicht geläufig waren, die für den historisch Zurückschauenden aber nicht zu erkennen sind, einen Bedeutungswandel erfahren haben oder gar falsch gedeutet werden ( Beispiel: der Bär als Symbol für den russischen Staat dürfte bekannter sein als die Darstellung Englands als Löwe).

Stilmittel

Auch die wichtigsten Stilmittel der Karikatur sollten den SchülerInnen bekannt sein:

  • Vergleich: Häufig sind Mensch-Tier Vergleiche (reißende Wölfe, ängstliche Hasen, listige Füchse, dumme oder schwarze Schafe, sture Esel oder Ochsen, wobei das Verhalten und die Eigenschaften dieser Tierarten auf die dargestellten Personen übertragen werden oder die Personen selbst als Tiere abgebildet werden. Karikaturen zum Bauernkrieg zeigen beispielsweise die Bauern in Form von Hasen, die den Spieß umdrehen und Pfaffen und Herren über dem Feuer braten; die für Deutschland stimmenden Wähler bei der Saarabstimmung 1935 treten als dumme Schafe auf, Hitler und Mussolini als zähnefletschende Wölfe); Tod als Schnitter Tod, Sensenmann oder Stundenglas.
  • Metapher: Eine übertragene Bedeutung eines Begriffes in ein Bild, der eigentlich gemeinte Sachverhalt weist eine gewisse Ähnlichkeit mit der bildlichen Darstellung auf (das Staatsschiff als Symbol für die Regierung, Winter als Symbol für Niedergang oder Krise, Sturm etc.)
  • Parodie: Bildelemente verspotten, verzerren oder übertreiben die dargestellten Personen, deren Eigenschaften und Eigenarten
  • LitotesWikipedia-logo.png (Untertreibung): weniger ein Bildelement der Karikatur, sondern eher im Textbestandteil zu finden. Durch eine Milderung oder Abschwächung des Geäußerten wird verschleiert, was die eigentliche Aussage ist.
  • Hyperbel (Übertreibung): Eigenschaften werden überdimensioniert und überzogen dargestellt; sie findet sich in Bild- und Textteil.
  • Paradoxie: scheinbare, überraschende Widersprüche werden dargestellt

Bildbetrachtung als Einstieg

Mein Seminarlehrer im Referendariat nutzte Karikaturen für einen motivierenden Einstieg. Das gelang aber nur teilweise, da die reine Betrachtung zwar einen ersten Eindruck vermitteln kann - eine tiefergehende Analyse aber noch nicht möglich ist.

Die traditionelle Methode

Den Schülern wird eine Kopie der ausgewählten Karikatur vorgelegt. Man kann zunächst im Brainstorming spontan Eindrücke sammeln und sie am besten an der Tafel sichtbar fixieren oder durch gezielte Arbeitsaufträge oder Leitfragen die Wahrnehmung und Bearbeitung steuern.

Die Puzzlemethode

Die Karikatur wird in verschiedene Teile zerschnitten, die Schüler müssen zunächst das Bild zusammensetzen, um einen Eindruck von der Gesamtkarikatur zu erhalten. Der Lernende wird angehalten, die Teile sorgfältig zu betrachten,  die Aufmerksamkeit wird auf jeden Fall auf die Karikatur gelenkt, da er sie ansonsten nicht zusammen setzen kann. Beim Auseinanderschneiden kann eventuell bereits darauf geachtet werden, dass wesentliche Bildelemente die einzelnen Puzzleteile ausmachen.

„Wat heulst’n kleener Hampelmann?“ – „Ick habe Ihr’n Kleenen ’ne Krone jeschnitzt, nu will er se nich!“
Zuerst erschienen in: Düsseldorfer Monatshefte. 1849, unter dem Titel: Rundgemälde von Europa im August MDCCCXLIX (1849)
Lithografie von Ferdinand Schröder (1818–1857)
Bild in mehrere Puzzleteile zerschnitten

Die Hot-Spots-Methode

Diese Methode eignet sich bei sehr komplexen detailreichen Karikaturen. Zentrale Karikaturelemente werden auf der vom Unterrichtenden verwendeten Folie / Grafik auf der Webseite markiert, z.B. eingekreist oder nummeriert. Den Schülern liegt eine normale Kopie der Karikatur vor, die sie während des Erarbeitungsprozesses mit der Folie vergleichen können.

Markierung wichtiger Elemente



Die Overlay-Technik

Die Originalkarikatur wird dabei in mehrere Schichten ( mehrere Folien) zerlegt, in denen die gesamten Bildelemente der Karikatur nach und nach aufgedeckt werden. Dadurch ist es möglich, die einzelnen Karikaturbestandteile schrittweise  zu betrachten und zu verdeutlichen, dass auch kleinste Details von immanenter Bedeutung für die Interpretation der Karikatur sein können. Diese Methode erlaubt es auch, wesentliche Elemente der Karikaturbeschreibung herauszuarbeiten (z.B. Gestik, Mimik und Gesamtaussehen von Personen  im Hinblick auf Kleidung, Größendarstellungen, Verfremdungstechniken, Verzerrungen etc.).

Die Methode ist wegen des hohen Arbeitsaufwandes insbesondere für eine systematische Einführung in die Arbeit mit Karikaturen geeignet, weniger für einen einzelnen Lernschritt innerhalb einer regulären Unterrichtstunde.






Weblinks

  1. Bei diesem Text handelt es sich um eine überarbeitete Textübernahme aus: Ein Raster zur Analyse von Karikaturen von Christine Stutz, Albert-Einstein-Gymnasium Völklingen
  2. Manfred FAUST, Politische Karikaturen im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I, in: GWU 31, 1980, S. 739