Zeitzeuge Richter zur Nachkriegszeit: Unterschied zwischen den Versionen

Aus ZUM-Unterrichten
KKeine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 4: Zeile 4:
Die Glaubwürdigkeit ist dabei - wie bei Zeugen allgemein - abhängig von der zeitlichen und räumlichen Nähe vom Vorgang (unmittelbare Anwesenheit am Tatort oder nur vermittelte Kenntnis), von ihrem sachlichen Verständnis des Vorgangs (z.B. bei juristischen Verhandlungen) und von ihrem Interesse an einer bestimmten Interpretation des Vorgangs. Alle Aussagen, die dem Interesse der Person widersprechen, sind besonders glaubwürdig.|Zeitzeuge|18.9.06}}  
Die Glaubwürdigkeit ist dabei - wie bei Zeugen allgemein - abhängig von der zeitlichen und räumlichen Nähe vom Vorgang (unmittelbare Anwesenheit am Tatort oder nur vermittelte Kenntnis), von ihrem sachlichen Verständnis des Vorgangs (z.B. bei juristischen Verhandlungen) und von ihrem Interesse an einer bestimmten Interpretation des Vorgangs. Alle Aussagen, die dem Interesse der Person widersprechen, sind besonders glaubwürdig.|Zeitzeuge|18.9.06}}  


Fritz Richter ist Jahrgang 1930 und erlebte Krieg und Nachkriegszeit in {{wpd|Sondershausen}}, damals einer Kleinstadt von 15 000 Einwohnern, die aber ein eigenes Konservatorium und ein {{wpde|Loh-Orchester|Sinfonieorchester}} hatte.
Fritz Richter ist Jahrgang 1931 und erlebte Krieg und Nachkriegszeit in {{wpd|Sondershausen}}, damals einer Kleinstadt von 15 000 Einwohnern, die aber ein eigenes Konservatorium und ein {{wpde|Loh-Orchester|Sinfonieorchester}} hatte.


Von seinen Verwandten der väterlichen Linie waren alle sozialdemokratisch, Mitglieder oder Wähler. Sein Vater war sozialdemokratisches Parteimitglied, auf der mütterlichen Seite waren alle Kommunisten. Sie kam aus sehr ärmlichen Verhältnissen, doch wurde einer aus der Familie Oberbürgermeister von {{wpd|Halle}}, weil er KPD-Genosse war. Seine Mutter war eine überzeugte Anhängerin Hitlers, weil dieser sie als Person so beeindruckte.  
Von seinen Verwandten der väterlichen Linie waren alle sozialdemokratisch, Mitglieder oder Wähler. Sein Vater war sozialdemokratisches Parteimitglied, auf der mütterlichen Seite waren alle Kommunisten. Sie kam aus sehr ärmlichen Verhältnissen, doch wurde einer aus der Familie Oberbürgermeister von {{wpd|Halle}}, weil er KPD-Genosse war. Seine Mutter war eine überzeugte Anhängerin Hitlers, weil dieser sie als Person so beeindruckte.  

Version vom 18. September 2006, 14:07 Uhr

Fritz Richter berichtet

Als Zeitzeuge bezeichnet man eine Person, die einen historischen Vorgang selbst miterlebt hat.

Die Glaubwürdigkeit ist dabei - wie bei Zeugen allgemein - abhängig von der zeitlichen und räumlichen Nähe vom Vorgang (unmittelbare Anwesenheit am Tatort oder nur vermittelte Kenntnis), von ihrem sachlichen Verständnis des Vorgangs (z.B. bei juristischen Verhandlungen) und von ihrem Interesse an einer bestimmten Interpretation des Vorgangs. Alle Aussagen, die dem Interesse der Person widersprechen, sind besonders glaubwürdig.


Wikipedia-logo.png Zeitzeuge, Wikipedia – Die freie Enzyklopädie, 18.9.06 - Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Siehe die Nutzungsbedingungen für Einzelheiten. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.



Fritz Richter ist Jahrgang 1931 und erlebte Krieg und Nachkriegszeit in Vorlage:Wpd, damals einer Kleinstadt von 15 000 Einwohnern, die aber ein eigenes Konservatorium und ein SinfonieorchesterWikipedia-logo.png hatte.

Von seinen Verwandten der väterlichen Linie waren alle sozialdemokratisch, Mitglieder oder Wähler. Sein Vater war sozialdemokratisches Parteimitglied, auf der mütterlichen Seite waren alle Kommunisten. Sie kam aus sehr ärmlichen Verhältnissen, doch wurde einer aus der Familie Oberbürgermeister von Vorlage:Wpd, weil er KPD-Genosse war. Seine Mutter war eine überzeugte Anhängerin Hitlers, weil dieser sie als Person so beeindruckte.

1944 wurde sein Vater verhaftet, kam ins Gefängnis. Sein Sohn Fritz hatte eine gespaltene Loyalität gegenüber seinem Vater, der „Feindsender“ hörte, und dem Jungvolk, dem er selbst angehörte. Als Mitglied des Jungvolks war er dann für einen höheren Posten ausersehen, doch weil er auf Auftrag seiner Mutter das Baby ausfuhr, wurden ihm von einem Jugendführer seine Ehrenzeichen vom Hemd gerissen.

Gegen Ende des Krieges gab es viele Angriffe von amerikanischen Tieffliegern. Mehrere Mitschüler Richters wurden erschossen, er selbst erlitt einen Streifschuss auf der linken Seite. Bei einem Bombenangriff auf Vorlage:Wpd im März 1945 gab es 15 000 Tote. Die Schüler wurden beauftragt, die Leichen abzutransportieren. Er selbst hat über 100 verkohlte Leichen aufgeladen. Am 7.4. wurden vom Volkssturm 7 Panzer abgeschossen. Am 8.4. kam es zum Bombenangriff auf seine Heimatstadt Sondershausen. Am 11.4. trafen die Amerikaner ein. Sie schossen auf die Fenster. Alle Bürger versteckten sich in den Kellern. Richter wurde von seiner Mutter beauftragt, einer bettlägerigen Patientin, die sie schon längere Zeit unterstützt hatte, etwas zu essen zu bringen. Er näherte sich dem Haus auf Umwegen über die Gärten von hinten an. Als er dann vorsichtig um die Ecke zum Eingang des Hauses bog, stand er vor drei Amerikanern. Diese waren genauso überrascht wie er und rissen sofort ihre Maschinenpistolen hoch. Er ließ alles fallen und hielt die Hände hoch. Einer der Amerikaner, der erste Schwarze, den Richter in seinem Leben sah, gab ihm ein Kaugummi, mit dem er nichts anzufangen wusste, das er dann aber nach dem Vorbild des Schwarzen auch kaute. Die Amerikaner waren mit einer Unmenge von Panzern angerückt. Auf einem Feld bei der Stadt standen etwa 600 – 700.

Als die Russen – im Tausch gegen die Westberliner Sektoren – entsprechend den ausgemachten Besatzungszonen Thüringen besetzten, kamen sie zu Fuß und begleitet von Panjewagen. Die ersten drei Tage waren schrecklich. Die Russen waren betrunken, die Frauen wurden vergewaltigt. Richters Schwiegermutter war darunter. Die Frau vom Haus gegenüber wurde, weil sie sich wehrte, erschossen. Dadurch war die Stimmung in der Bevölkerung festgelegt. Der Unterschied der Russen zu den disziplinierten Amerikanern war extrem. (Vorlage:Wpd hatte nach den SäuberungenWikipedia-logo.png, vgl. A. KoestlerWikipedia-logo.png: „SonnenfinsternisWikipedia-logo.png“, das Heft fest in der Hand.)

Die Grenzen zwischen den BesatzungszonenWikipedia-logo.png wurden bewacht, aber man konnte illegal durchkommen. Richter ging bis 1947 recht häufig über die Grenze, doch ab dann wurde geschossen. 1951 und 1952 ging er aber trotzdem auch noch über die Grenze; doch die Frau seines Lateinlehrers wurde damals erschossen, als sie versuchte, in der amerikanischen Zone Lebensmittel zu kaufen. Schon Juli 1945 hatte die SMAD die Bildung von Parteien zugelassen. SPD, KPD, CDU und LDP wurden rasch gegründet. Die SPD hatte 1945 aufgrund der KZ-Erfahrungen eine Vereinigung mit der KPD in Gesamtdeutschland angestrebt. Doch das wurde damals von Stalin abgelehnt. Nach den Wahlniederlagen der KP in Polen und Ungarn aber änderte sich seine Politik und es kam im April 1946 zur Zwangsvereinigung der Parteien zur SED. Die Gremien wurden paritätisch besetzt, doch die KPD übernahm mehr Parteiämter, die SPD mehr Regierungsämter.

Die ersten Wahlen waren noch relativ frei, doch waren die bürgerlichen Parteien schon damals behindert, weil sie nur gewählt werden konnten, wo es Ortsgruppen gab. So ergab es sich, dass es in den Städten Mehrheiten für die bürgerlichen Parteien um 90% gab, doch auf dem Land, weil es nur in 20% der Orte bürgerliche Parteien gab, die SED die Mehrheit bekam.

1947 war das schlimmste Hungerjahr. Richters aßen fast nur Kartoffeln und gesammelte Ähren und Melasse (die Abfälle aus der Zuckerfabrik), die Richter mit der Eisenbahn fahrend im Eimer aus benachbarten Orten mit Zuckerfabriken heranschaffte.

Inzwischen gab es auch wieder Schule. Die Mehrheit der Lehrer war gegen die Besatzungsmacht, aber einige waren auch Zuträger für die sowjetische Stadtkommandantur. – Die Führungsgremien der KPdSU wurden „gesäubert“, 70% wurden ermordet, durch GPU und NKWD.

Die SMAD konnte in die Parteien eingreifen. So wurden z.B. Schreiber und Hermes von der CDU zum Rücktritt gezwungen.

Verhaftungswellen:

1. ab Juni 1945 wirkliche u. vermeintliche Nazis (auch Denunziationen wegen persönlichen Streits)

2. 1945/46 Bodenreform: „Junker“ (Großgrundbesitzer)

3. 1946 Widerstand gegen Zwangsvereinigung von SPD u. KPD zur SED (ca. 3000 Sozialdemokraten). Man sprach von „abholen“.

4. 1947/48 1. Säuberung der SED

5. 1947/49 1. Säuberung der bürgerlichen Parteien

6. 1951/52 2. Säuberung der bürgerlichen Parteien

7. ab 1951 Einrichtung der LPGs (Kollektivierung der Landwirtschaft), jetzt Verhaftungen schon durch die deutsche Stasi

8. Verhaftungen nach Aufstand vom 17.6.53

Aufgaben

  1. Was an dem Text bedarf einer weiteren Erläterung? Ergänze durch Links aus dem Internet oder formuliere, wenn du dazu nichts findest, Fragen auf der Diskussionsseite.
  2. Wenn man einen Zeitzeugen hört, muss man nicht nur beachten, dass er aus seiner spezifischen persönlichen Sicht spricht, sondern auch, dass er seine Auswahl aus seinen Erinnerungen und seine Sicht auf das Vergangene im Laufe der Zeit ändern kann. Was an der vorliegenden Darstellung entspricht mehr der Sicht eines Erwachsenen als der des Jugendlichen von 15 bis 17 Jahren?